Immer mehr EU-Länder verabschieden Gesetze zur Verwendung von medizinischem Cannabis. Doch die Gesetzgebung ist sehr uneinheitlich, weshalb Cannabis-Patienten und -Patientinnen, die sich mit ihrer Medizin auf Reisen begeben wollen, einige Dinge beachten müssen.
Bis März 2017 war Cannabis in Deutschland immer noch eine illegale Substanz, die unter Anlage eins des Betäubungsmittelgesetzes fiel und nur mit einer „Ausnahmeerlaubnis zur Selbsttherapie mit Cannabis Flos“ erworben werden durfte. Seit der Gesetzesänderung Anfang März 2017 fällt medizinisches Cannabis unter Anlage drei und wurde dadurch ein „verkehrsfähiges Betäubungsmittel“. Deshalb sind ärztlich verordnete und in der Apotheke erworbene Medizinalhanfblüten verkehrsfähig und dürfen innerhalb des Schengenraums, zu dem auch die Schweiz als einziges Nicht-EU Mitglied gehört, mitgeführt werden.
Aus Ländern wie den Niederlanden, Italien, Tschechien oder Deutschland, wo Medizinalhanfblüten ebenso wie bei uns als verkehrsfähiges Arzneimittel gelten, können Patienten und Patientinnen ihren benötigten 30-Tage-Bedarf ins EU-Ausland mit sich führen. Hierzu müssen sie lediglich eine “Bescheinigung für das Mitführen von Betäubungsmitteln im Rahmen einer ärztlichen Behandlung - Artikel 75 des Schengener Durchführungsabkommens”, den so genannten Schengen-Schein, dabei haben. Das Dokument muss zuvor von der behandelnden Ärztin / dem behandelnden Arzt ausgestellt sowie dem zuständigen Gesundheitsamt beglaubigt werden. Deshalb empfiehlt es sich, sich bereits ein paar Wochen vor Reiseantritt um den Schengen-Schein zu kümmern.
Das Procedere ist genau wie bei den Fertigpräparaten, wobei auch bei Blüten die Wirkstoffmenge in Milligramm angegeben werden muss. So darf ein:e Patient:in, der/die zum Beispiel drei Gramm “Lemon Sherbet” mit 22 Prozent THC am Tag verschrieben bekommt, 90 Gramm Blüten aus der Apotheke mit sich führen. Zudem muss vermerkt sein, dass die 90 Gramm bei einem THC-Gehalt von 22 Prozent genau 18,48 Gramm THC enthalten. Ansonsten gelten die gleichen Regeln wie für Fertigpräparate. Die Arznei sollte zudem im versiegelten Originalbehälter mitgeführt werden. Verschreibungspflichtige Betäubungsmittel wie Cannabis müssen immer im Handgepäck mitgeführt werden, um einen Zugriff durch Dritte auszuschließen. Auch eine Aufforderung des Bordpersonals, das Handgepäck wegen Platzmangel kurzfristig im Gepäckraum verstauen zu lassen, verstieße gegen die Sorgfaltspflicht von Patienten und Patientinnen.
EU-Recht zufolge ist es also möglich, legal Cannabisblüten in Länder wie Österreich, Belgien oder Frankreich mitzunehmen, in denen diese aufgrund der jeweiligen gesetzlichen Lage selbst als Medizin noch komplett illegal sind. Bislang sind noch keine Fälle bekannt, bei denen Patienten oder Patientinnen bei Vorweisen der entsprechenden Dokumente strafrechtliche Konsequenzen erleiden mussten.
Mit Inkrafttreten des Cannabisgesetzes ändert sich auch der betäubungsmittelrechtliche Status von medizinischen Cannabisprodukten vom Betäubungsmittel zum verschreibungspflichtigen Arzneimittel. Eine aktuelle Nachfrage beim BfarM hat ergeben, dass für die Mitnahme von Cannabis im Schengenraum jedoch weiterhin das gleiche Dokument wie zuvor benötigt wird. Denn beim kleinen und großen Grenzverkehr gilt weiterhin internationales, nicht deutsches Recht.
Medizinisches Cannabis aus der EU ausführen
Jetzt wird es komplizierter. Wer medizinisches Cannabis in ein Nicht-EU Land mitnehmen muss, kann den Export aus Deutschland mit diesem Formular beantragen, das zum Export eines 30-Tage-Bedarfs berechtigt. Parallel dazu muss sich der Patient oder die Patientin eine Import-Genehmigung des Ziellandes besorgen. Das funktioniert meist nur dann, wenn beide Länder über ein medizinisches Cannabisprogramm auf Bundesebene verfügen, da Einreiseformalitäten weltweit von Bundesbehörden kontrolliert werden. Für Jamaika oder Südafrika zum Beispiel ist das kein Problem, aber selbst Staaten mit medizinischem Cannabisgesetz erteilen nicht unbedingt eine Importgenehmigung für medizinisches Cannabis.
So erklärt das kanadische Gesundheitsministerium Health Canada auf Nachfrage, ein Import von medizinischem Cannabis für Patienten und Patientinnen könne nur in Ausnahmefällen wie zum Beispiel Palliativpatienten und -patientinnen genehmigt werden:
„Es ist illegal, Cannabis in jeglicher Form, einschließlich Cannabidiol (CBD), über die kanadische Grenze zu bringen, auch wenn es für medizinische Zwecke bestimmt ist. Dies gilt sowohl bei der Einreise als auch bei der Ausreise aus dem Land. Anträge auf eine reisebezogene Ausnahmegenehmigung gemäß dem Cannabisgesetz werden individuell geprüft. Nur unter seltenen und außergewöhnlichen Umständen, z. B. in palliativen Fällen, kann Health Canada eine Ausnahmegenehmigung erteilen, damit ein Reisender Cannabis für den individuellen medizinischen Gebrauch über die internationale Grenze bringen kann.“
Kanada lässt sowohl Einheimischen als auch Besuchern keine Möglichkeit, ihre Cannabis-Therapie auf Auslandsreisen fortzusetzen. Einzig Palliativpatienten und -patientinnen haben Aussicht auf eine Ausnahmegenehmigung zum Import, müssen diese aber lange im Voraus beantragen. Während kanadische Produzenten seit Jahren Exportlizenzen erhalten, um kanadische Blüten in die ganze Welt zu verkaufen, müssen Patienten und Patientinnen auf Reisen in Kanada Cannabis zum Freizeitkonsum kaufen, sich illegal versorgen oder die Therapie abbrechen. Denn auch Cannabis-Rezepte gibt es nur für in Kanada gemeldete Personen. Das führt zu der skurrilen Situation, dass selbst legal in Kanada angebaute Blüten, die von Patienten und Patientinnen in Deutschland legal in der Apotheke erworben werden, beim Re-Import illegal werden.
Ähnlich verhält es sich mit Israel. Trotz Exports nach Deutschland stehen Patienten und Patientinnen, die nach Israel reisen wollen, wie der sprichwörtliche Ochse vor dem Berg. Israels Gesundheitsministerium, das auch über ein medizinisches Cannabisprogramm verfügt, hat sich trotz mehrmaliger schriftlicher und telefonischer Anfragen nicht geäußert und bislang auch keinerlei Informationen zu medizinischem Cannabis auf Reisen veröffentlicht.
Kanada und Israel brauchen eine Lösung für Patienten und Patientinnen
Um sich nicht vorwerfen lassen zu müssen, wirtschaftliche Interessen stünden bei den Internationalen Regelungen zu medizinischem Cannabis über den Belangen und Bedürfnissen von Cannabis-Patienten und -Patientinnen, sollten Länder wie Israel oder Kanada schnell eine rechtsverbindliche Lösung finden, die die Mitnahme legal produzierter und erworbener Medizinalhanfblüten auch über Grenzen hinweg ermöglicht.
Südafrika und Jamaika hingegen sind sehr transparent. Beiden Ländern reicht das weiter oben erwähnte Dokument sowie eine Rezeptkopie der aktuellen Verordnung. Auch lassen beide eine Registrierung von Besucher:innen als Cannabis-Patienten und -Patientinnen vor. Voraussetzung dafür ist natürlich die Vorsprache bei einer Ärztin oder einem Arzt vor Ort.
Es gibt aber auch viele Länder wie zum Beispiel die Türkei oder Ägypten, die weder den Import von Medizinalhanfblüten noch den von Cannabis basierten Fertigarzneimitteln erlauben. Um zu erfahren, welche Regeln für den Import von medizinischem Cannabis gelten, ist es außerhalb des Schengen Raums in den Fällen unbedingt notwendig, mit den zuständigen Gesundheitsbehörden vorab in Kontakt zu treten. Denn, anders als in Europa, wird der Besitz von Cannabis besonders im Nahen und Fernen Osten als schwere Straftat angesehen – mit allen Konsequenzen.
Vorsicht ist trotzdem geboten
Aber auch innerhalb des Schengenraums ist Vorsicht geboten. Das Schengen-Formular existiert lediglich in drei Sprachen (Englisch, Deutsch, Französisch). Sollten Zoll- oder Polizeibeamte den Inhalt und/oder die Beschriftung auf der Arzneimittelverpackung nicht verstehen, wird man bis zur Klärung des Sachverhalts schlimmstenfalls wegen illegalem Cannabisbesitz festgesetzt. Deshalb empfehle ich für Reisen in Länder mit sehr strenger Cannabis-Gesetzgebung, wie zum Beispiel Griechenland oder Bulgarien, die Mitnahme einer beglaubigten Übersetzung des Mitnahme-Dokuments. Wer ganz sicher gehen möchte, lässt sich die Übersetzung noch einmal vom jeweiligen Konsulat beglaubigen.
Ein Tipp zum Schluss
Auch wenn der Import in Schengen-Länder und einige andere Staaten ohne ein Gesetz für Cannabis als Medizin legal ist, sollten sich Patienten und Patientinnen dort beim Konsum bedeckt halten. Denn weder Polizei noch die Bevölkerung kennen diese Ausnahme für Cannabis-Patienten und Patientinnen aus anderen EU-Ländern im Regelfall. Man geht erst einmal davon aus, dass es sich um Freizeitkonsum und -besitz handelt. Ohne Sprachkenntnisse und einem für Beamte fremdsprachigen Dokument in der Hand, haben Patienten und Patientinnen eine äußerst schlechte Verhandlungsbasis. Das mehrstündige Procedere zur Abklärung des legalen Status kann sehr unangenehm und zeitraubend sein. Deshalb ist es in solchen Ländern ratsam, die Medizin außerhalb der Seh- und Riechweite anderer einzunehmen.
Das neue Cannabisgesetz tritt voraussichtlich im April 2024 in Kraft. Obwohl es im Gesetz maßgeblich um Freizeitkonsum, Eigenanbau sowie Cannabis Clubs geht, wird sich auch für Cannabis-Patient:innen einiges ändern. Denn mit dem Wegfall von Cannabis aus dem Betäubungsmittelgesetz verliert auch medizinisches Cannabis seine Klassifikation als Betäubungsmittel, wodurch nicht nur die Verordnung für alle Seiten etwas unkomplizierter wird.
Cannabis-Rezepte werden dann für Kassenpatient:innen in Form des rosa Standardrezeptes ausgestellt. Für Selbstzahlende werden blaue Privatrezepte ausgestellt. Die Gültigkeit verlängert sich damit von 7 auf 28 Tage, Privatrezepte für medizinisches Cannabis werden mit Inkrafttreten des Gesetzes sogar drei Monate gültig sein. Allerdings werden Medizinalblüten auch nach Gesetzesreform kein Fertigarzneimittel sein, sondern bleiben zumindest vorerst eine Rezeptursubstanz.
Ein E-Rezept spart Wege
Sobald medizinisches Cannabis kein Betäubungsmittel mehr ist, wird es auch möglich sein, Cannabis-basierte Arzneimittel auf E-Rezept zu erhalten. Mit dem schrittweisen Inkrafttreten der E-Rezept Verordnung seit März 2023 können sich Cannabis-Patientinnen und -Patienten zukünftig viele Wege und somit auch eine Menge Zeit sparen. Denn beim seit Januar 2024 obligatorischen E-Rezept sind sogenannte Wiederholungsrezepte möglich. Die Grundlage hierfür wurde bereits 2020 mit Inkrafttreten Änderungen im V. Sozialgesetzbuchs aus dem Jahr 2020 geschaffen. Auf dessen Grundlage können Ärztinnen und Ärzte mit Einführung des elektronischen Rezepts Wiederholungsrezepte mit Ausnahme von Betäbungsmittel (BTM)-Rezepten auch elektronisch ausstellen. Patientinnen und Patienten, die regelmäßig die gleichen Wirkstoffe oder Präparate brauchen, dürfen Ärztinnen und Ärzten bis zu vier sogenannte E-Rezept-Token ausstellen. Das unterteilt eine Mehrfachverordnung in bis zu vier eigenständige Teile. Später einzulösende Teile der Mehrfachverordnung bleiben bis zum auf dem Rezept vermerkten Zeitraum gesperrt. Die eigenständigen Token können innerhalb der Einlösefrist auch in unterschiedlichen Apotheken eingelöst werden.
In der Praxis heißt das, dass sich gut eingestellte, langjährige Cannabis-Patientinnen und -Patienten den monatlichen Weg zur Rezeptabholung mithilfe des E-Rezepts dann sparen und sich alle Beteiligten auf die wirklich wichtigen, persönlichen Termine zur Gesundheitsvorsorge und -erhaltung konzentrieren können. Kassenpatientinnen und -patienten müssen seit dem 01.01.2024 verpflichtend ein E-Rezept ausgestellt bekommen. Wer Papier bevorzugt, kann sich das E-Rezept auch weiterhin wie ein herkömmliches Rezept ausdrucken lassen. Bei Privatrezepten war die technische Umstellung zum 01.01.2024 anscheinend so schwierig, dass es hier eine Übergangsfrist für Ärztinnen und Ärzte und Kassen gibt. Doch auch hier bieten bereits viele Praxen und Kassen die Option des E-Rezepts an.
Auch die Lagerung wird für die Apotheken unkomplizierter, weil medizinische Cannabisprodukte nicht mehr in einem Betäubungsmittelschrank gelagert werden müssen. Die Lagerung als normales Medikament ist im Vergleich zur BTM-Lagerung platz- und kostensparender. Auch der Transport, Versand und die Dokumentation von Medizinalcannabis werden ohne betäubungsmittelrechtliche Bestimmungen unkomplizierter und somit günstiger.
Sind die Präparate untereinander austauschbar?
Außerhalb des BTM-Bereichs bieten Rezepte auch die Möglichkeit einer relativ einfachen „Aut Idem“-Verordnung. Das lateinische "Aut idem" heißt zu Deutsch "oder das Gleiche".
Bisher durften Apotheken bei medizinischem Cannabis nur das Präparat wechseln, wenn das verordnete nicht lieferbar war. Dazu bedarf es einer dokumentierten Rücksprache mit der Ärztin oder dem Arzt und einer nachträglichen Änderung des Rezeptformulars. Bei einer „Aut Idem“-Verordnung außerhalb des BTM-Bereichs kann die Apotheke das Präparat einfacher wechseln. Setzt die Ärztin oder der Arzt hier sein Kreuz, darf die Apotheke statt eines von der Ärztin oder dem Arzt verordneten Arzneimittels ein anderes, wirkstoffgleiches Präparat an die Patienten oder den Patienten abgeben.
Im Falle einer Kassenverordnung muss das gewählte Arzneimittel im Vergleich zum ursprünglich verordneten wirtschaftlich sein, bei Privatpatientinnen und -patienten ist die Wirtschaftlichkeit ohnehin Sache der Patientin oder des Patienten. Denn es gibt für Privatversicherte keine Verpflichtung, eine kostengünstigere Alternative zu wählen. Sie können frei nach den für sie wichtigen Kriterien wie Preis, Handhabbarkeit oder Verträglichkeit entscheiden, welches geeignete Arzneimittel sie nehmen möchten.
Auch die Möglichkeit eines Rezepts für Cannabisblüten lediglich unter Angabe der Gehalte an Δ9-Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD) könnte zukünftig intensiver genutzt werden.
Eine solche Verordnung ist im Prinzip auch jetzt schon möglich, wird aber aufgrund der komplizierten und zeitaufwändigen “Aut-Idem”-Voraussetzungen bei Cannabis selten ausgestellt.
Auf die Frage, ob die Ärzteschaft eher spezifische Sorten oder allgemein Cannabisblüten unter Angabe des THC- und CBD-Gehalts verordnen werden, antwortete der damalige Präsident Andreas Kiefer der Apothekenkammer der Pharmazeutischen Zeitung bereits im März 2017 :
„Beides ist möglich. Entscheidend ist, dass die Verordnung eindeutig ist. Der Apotheker muss im Rahmen der Plausibilitätsprüfung verstehen, was gemeint ist. Die Ärzteschaft und die Bundesopiumstelle empfehlen eine Sortenverordnung. Damit sind die Gehalte an Cannabinoiden eindeutig bestimmt.[…]“ [Quelle].
Das war 2017, als es noch sehr wenige Cannabis basierte Medizinalprodukte gab. Angesichts der vielen unterschiedlichen Präparate und Sorten, die heute verordnet werden können, wird die Nutzung dieser Möglichkeit auch für alle Beteiligten immer interessanter. Denn das ermöglicht besonders Patientinnen und Patienten und Apotheken mehr Flexibilität sowie eine umfassendere Beratung vor Ort als derzeit möglich.
Solange Cannabis gesetzlich noch als Betäubungsmittel eingestuft ist, bleibt es jedoch abzuwarten, welche Rolle die Austauschbarkeit bei medizinischem Cannabis künftig spielen wird. Denn hier spielen auch mit den Kassen bereits ausgehandelte, noch zu schließende Rabattverträge sowie der Status von medizinischen Cannabisblüten als Rezeptursubstanz eine entscheidende Rolle. Auf diese beiden Faktoren hat das neue Gesetz keinen messbaren Einfluss.
Auch am Prozedere der Kostenübernahme für medizinisches Cannabis wird das Gesetz nichts ändern. Selbst ohne die Klassifizierung als Betäubungsmittel ist medizinisches Cannabis meist nur eine Option für die gesetzlichen Kassen, wenn schulmedizinisch alle Alternativen, inklusive verschreibungspflichtiger Betäubungsmittel, ausgeschöpft sind.
Dürfen Patienten und Patientinnen auch kiffen und anbauen?
Cannabis-Patientinnen und -Patienten sind aber auch Mitbürger:innen, die, zumindest theoretisch, mit Inkrafttreten des Gesetzes, Cannabis zum Freizeitkonsum für den Eigenbedarf anbauen und besitzen dürfen. Auch eine Clubmitgliedschaft kann nicht aufgrund des Patientinnen- bzw. Patienten-Status verwehrt oder in Frage gestellt werden. Ebenso ist der Konsum von Cannabis zum Freizeitkonsum, zumindest strafrechtlich, auch für Patientinnen und Patienten nicht relevant – aber: Auch wenn Cannabis kein BTM mehr ist, sind Patientinnen und Patienten nach wie vor zur Compliance verpflichtet. Darunter versteht man die Mitarbeit und Kooperation der Patientin bzw. des Patienten bei einer medizinischen Behandlung, zum Beispiel durch Einhalten von Verhaltensregeln wie das genaue Einhalten der ärztlichen Verordnung. Das ist bei zusätzlichem Freizeitkonsum in den meisten Fällen nicht möglich. Denn eine Ärztin oder ein Arzt darf Patientinnen und Patienten nicht empfehlen, medizinisches durch selbst angebautes oder im Club erhaltenes Cannabis zu ersetzen. Das entspricht nicht den strengen medizinischen Standards und darf deshalb auch nicht ersatzweise angewendet werden.
Cannabis-Patientinnen und Patienten brauchen meist höhere Dosen als Menschen, die Cannabis ab und an zur Entspannung konsumieren. Sie könnten bei zusätzlichem oder gar regelmäßigem Freizeitkonsum ihre Toleranz steigern und so die Therapie beeinflussen.
Ob man als Cannabis-Patientin auch mal Cannabis zum Vergnügen rauchen darf und unter welchen Umständen das sein könnte, ist keine Frage des Strafrechts mehr, sondern vielmehr eine des gesunden Menschenverstandes. Schließlich ist es auch kein Verbrechen, entgegen dem ärztlichen Rat Medikamente und Alkohol zu mischen. Trotzdem ist es in den meisten Fällen ungesund und nicht selten sogar lebensgefährlich. Wer es trotzdem macht, ist mit dem Tragen der gesundheitlichen Konsequenzen ohnehin gestraft genug.*
Wie sich ein:e Patient:in in Zukunft gegenüber legalem Cannabis zum Freizeitkonsum verhalten soll, muss schlussendlich die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt entscheiden. Nur Mediziner:innen können anhand von Faktoren wie Therapiedauer, individueller Dosierung, dem Krankheitsbild und anderen Parametern der Cannabis-Therapie entscheiden, ob man als Patient:in auch mal einen dampfen darf oder besser die Finger davon lässt. Ohne eine solche Absprache wäre der Freizeitkonsum von Patientinnen und Patienten zwar keine Straftat, aber ein Hinweis auf mangelnde Compliance. Eine solche Non-Compliance ist für viele Mediziner:innen bereits heute ein guter Grund, eine Therapie zu beenden oder wenigstens infrage zu stellen. Damit es gar nicht so weit kommt, sollte die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt jederzeit wissen, was ihr:e/sein:e Patient:in neben der Therapie einnimmt. Denn ohne Angst vor Strafverfolgung oder Stigmatisierung ist es eben viel einfacher, offen und ehrlich zu bleiben.
* Teile dieses Artikels geben die Meinung des Autoren wieder, und nicht des Unternehmens.
Nicht einmal 12 Stunden nach der Landung in Kapstadt sitze ich in einem Cannabis Social Club für Patienten und Patientinnen. Sieht aus und klingt, zumindest wenn die Locals ihre Medizin am Tresen ordern, fast wie in Amsterdam. Denn Afrikaans hört sich fast an wie niederländisch und ist am Westkap die meist gesprochene der 11 südafrikanischen Amtssprachen.
Die Sortenauswahl ist immens und dank meiner Dokumente, die meinen Status als Deutscher Cannabis-Patient belegen, darf ich die Medizin hier auch probieren. Bis 2022 gab es in Südafrika auch Cannabis Social Clubs für Erwachsene ohne medizinische Verordnung. Doch seit einem höchstrichterlichen Urteil von 2022 dürfen Cannabis Social Clubs in Südafrika nur Patienten und Patientinnen aufnehmen, die Vereine für Freizeit-Cannaseur:innen wurden über Nacht illegal. Der Hintergrund der bis heute relativ unklaren Rechtslage rund um Cannabis ist ein Urteil des südafrikanischen Verfassungsgerichts aus dem Jahre 2018. Damals wurden Konsum, Anbau und Besitz für den Eigenkonsum über Nacht legal – allerdings ohne definiert zu haben, wie viel Gras man besitzen oder anbauen darf. Die Regierung wurde im Zuge dieses Urteils zudem verpflichtet, Cannabis innerhalb der nächsten Jahre irgendwie zu regulieren. Doch wie fast überall auf der Welt waren die Betroffenen schneller als die Regierung und so schossen nach dem Urteil Cannabis Social Clubs wie Pilze aus dem Boden. Parallel dazu fing die südafrikanische Regierung an, Anbaulizenzen für medizinisches Cannabis zu verteilen, bevor es wirklich legale und regulierte Vertriebswege dafür gab.
Nach dem Club-Verbot von 2022 bekamen die bereits bestehenden Clubs die Möglichkeit, als medizinische Cannabis Clubs weiter und – statt in einer Grauzone – in einem von den Gesundheitsbehörden vorgegebenen Rahmen zu agieren. Denn die südafrikanische Cannabis-Agentur hatte im Rahmen der Lizenzvergabe glatt vergessen, dass medizinisches Cannabis auch Vertriebswege auf nationaler Ebene braucht. Wieso also nicht aus der Not der über Nacht illegalen Clubs eine Tugend machen, indem man mithilfe deren Infrastruktur Patienten und Patientinnen versorgt? Denn das Modell in Südafrika hatte von Anfang an ein grundlegendes Problem.
Die SAHPRA (South African Health Products Regulatory Authority) hatte sich in der Hoffnung auf ausländische Investoren auf große Exportvolumina fokussiert, während Patienten und Patientinnen vor Ort von Anfang an Schwierigkeiten hatten, in Südafrika angebautes, medizinisches Cannabis legal zu beziehen.
Mittlerweile kooperiert die Cannabis Agentur in Südafrika mit zahlreichen medizinischen Cannabis Clubs. Die Clubs helfen den Patienten und Patientinnen bei der Arztsuche und stellen den Kontakt zur SAHPRA her. Der Rest ist meist Formsache, Patienten und Patientinnen können so im Durchschnitt ein bis drei Tage nach der ärztlichen Diagnose Medizinalblüten von dem Club beziehen, der Ihren Antrag bei der SAHPRA eingereicht hat. Klingt unkompliziert und so sollte ein Besuch in einem Club für Cannabis-Patienten und -Patientinnen zeigen, wie diese in Südafrika mit legaler Medizin versorgt werden.
Ein Besuch bei den 420 Doctors
Während ich meine eigene Medizin aus Deutschland dank einer deutschen Export- und einer südafrikanischen Importgenehmigung mitnehmen durfte, hat sich mein Reisebegleiter in der Hoffnung auf südafrikanische Medizin die zeitraubende Antragstellung gespart und auf eine schnelle Lösung vor Ort gesetzt. Die sollte dann in Form der 420 Doctors nicht lange auf sich warten lassen. Nachdem Gründer Leon ursprünglich einen Cannabis-Club betrieben hatte, wurde die Rechtslage 2022 so unsicher, dass er sich zu einer Zusammenarbeit mit der SAHPRA entschloss.
Die Räumlichkeiten des Clubs erinnern an US-amerikanische Abgabestellen. Die Auswahl ist immens, zur Zeit unseres Besuchs im Frühjahr 2023 können Patienten und Patientinnen unter mehr als 20 Sorten mit SAHPRA-Siegel auswählen. Meine Reisebegleitung muss als allererstes einen Antrag ausfüllen, der postwendend an einen von der SAHPRA lizenzierten Arzt geschickt wird.
Moderate Preise – Hohe Qualität
Die Preise für medizinisches Cannabis sind aufgrund des Lohngefüges niedriger als in Europa. Ein Gramm kostet zwischen 2,50 und 10 Euro. Die Qualität ist ähnlich, auch wenn die Produktionsparameter in der EU noch ein wenig strenger sind als am Kap. Doch die südafrikanische Cannabis-Industrie wächst mit ihren Aufgaben und verfügt mittlerweile über internationale Standards. Hinzu kommt das für Cannabis perfekte Klima sowie der kulturelle Aspekt. Anders als Marihuana in der Bundesrepublik oder der DDR war „Dagga“ in Südafrika nie das Hippiekraut einer ungeliebten Randgruppe, sondern seit grauer Vorzeit Volksdroge. Das hat auch das Gericht in seinem wegweisenden Urteil von 2018 anerkannt. Und anders als in den meisten EU-Ländern ist der Konsum von Dagga zu 100 Prozent entkriminalisiert. Dort, wo Zigaretten geraucht werden, darf auch gekifft werden, die Eigenbedarfsregelung ist zudem sehr liberal. Als Eigenbedarf gilt gemeinhin alles, was in eine Schachtel für den persönlichen Bedarf passt – Hauptsache es deutet nichts auf Verkauf und Weitergabe hin. Die Größe der Schachtel spielt da eher eine Nebenrolle, auch eine genaue Definition, wie viel Gramm als Eigenbedarf durchgehen, sucht man vergeblich.
Mein Begleiter wird kurz nach unserem Club-Besuch von der SAHPRA mit der Bitte angeschrieben, der Ärztin seine deutschen Unterlagen zukommen zu lassen. Einen Tag und ein Telefonat später ist mein Reisepartner südafrikanischer Cannabispatient. Beim nächsten Besuch der 420 Doctors entscheidet er sich im Rahmen einer olfaktorischen Prüfung der zahlreichen Medizinalblüten, seine Therapie mit „Apple Jax“ und „Fight Club“ fortzusetzen. 420-Inhaber Leon erklärt mir derweil, dass für Extrakte sogar eine Kostenübernahme durch die Krankenkasse möglich sei. Anders als in Deutschland sei die bei Blüten aber grundsätzlich nicht möglich. Auf meine Frage, wo man denn als Patient ungestört konsumieren könne, lotst mich Club-Gründer Leon einen Raum weiter.
„Hier bauen wir gerade unsere Vapo-Lounge. In medizinischen Clubs darf natürlich nicht geraucht, sondern nur vaporisiert werden,“ erklärt mir der cannafine Jungunternehmer aus Kapstadt.
„Das Einnehmen der Medizin außerhalb der Clubs ist, anders als in einigen US-Bundesstaaten oder in Spanien, jedoch auch kein Problem. Denn der Konsum von Cannabis, egal ob medizinisch oder zum Spaß, ist dem Rauchen von Kippen rechtlich gleichgestellt. Deshalb findet in Südafrika jede:r einen ruhigen Ort, ungestört seine oder ihre Medizin einzunehmen – unabhängig von der Applikationsform“, berichtet Leon weiter.
Nachdem der wichtigste Punkt nach der Ankunft jetzt abgehakt ist, folgen wir Leons Tipp und machen der Kapstädter Cannabis-Messe unsere Aufwartung. Denn die findet, ohne dass wir es vorher mitbekommen haben, genau an dem Wochenende unseres Besuchs in der Kapregion statt.
Südafrikas Cannabis-Industrie verharrt in den Startlöchern
Zwei Uber später finden wir uns im Sun Convention Center als Gäste der CannabisExpo wieder. Rein äußerlich unterscheidet sich das Event nicht von europäischen Hanfmessen: Speziallampen zum Anbau, Düngerhersteller, Longpaper-Stände und Cannabis-Aktive dominieren die Gänge, aber auch unsere Freunde von den 420 Doctors sind mit einem Stand vertreten. Die Präsenz der SAHPRA überrascht mich dann doch ein wenig – weil sich unsere Cannabis-Agentur wohl kaum auf der Mary-Jane oder der Cannafair blicken lassen würde. Doch der Stand der Cannabis-Agentur auf einem 420-Event steht auch für Aufbruchsstimmung und Pioniergeist, der an jedem einzelnen Stand in Kapstadt zu spüren ist.
Ich treffe Silas Howarth, der die erste Cannabis-Fachmesse Südafrikas auf die Beine gestellt hat, und möchte von ihm mehr über die Entwicklung der südafrikanischen Cannabis-Industrie wissen.
„Die erste Expo gab es 2018 in unserer Hauptstadt Pretoria, dann kamen Kapstadt, Johannesburg und Durban. Seitdem gibt es hier (in Südafrika) insgesamt drei Expos im Jahr. Wir hatten ziemliches Glück. Nachdem wir unser erstes Event das ganze Jahr über geplant hatten und im September 2018 das Urteil (red. Anmerkung: zur Verfassungswidrigkeit des Cannabis-Verbots in Südafrika) gesprochen wurde, fand unsere Veranstaltung nur einen Monat später statt. Damit waren wir die erste Veranstaltung dieser Art, die in diesen aufregenden Zeiten stattgefunden hat.
Wenn man in der Öffentlichkeit darauf pochen kann, dass Cannabis legal ist und Leute wirklich auch zuhause rauchen dürfen, fragt sich die Öffentlichkeit auch: „Gibt es da schon eine Branche?“
Und genau zu diesem Zeitpunkt fand die erste Expo statt.“
Silas Howarth im Gespräch mit Michael Knodt
Ich schildere Silas meine Befürchtungen, dass so lockere, aber unklare Regeln zum Freizeitkonsum doch schlussendlich in einer schwer zu kontrollierenden Grauzone enden könnten.
„Es besteht bereits eine riesige Grauzone. Das ist einer der Bereiche, in denen die Regierung zu langsam arbeitet, würde ich sagen – wie überall auf der Welt. Es ist schon erstaunlich, dass vor der Expo die Branche selbst gar nicht mitbekommen hat, wie groß sie eigentlich ist. Und deshalb bis dahin auch keine:r die Vorteile und Chancen erkannt hat, die eine neue Branche im Rahmen der Legalisierung ergreifen kann. Die Möglichkeiten für Cannabis-Unternehmen sind riesig, wir bieten hier einen neuen Spielplatz und ein eimaliges Potential für Unternehmen, besonders jetzt in den Anfangsjahren.“
Fachgeschäfte vs. rechtliche Grauzonen
Was Silas mit dieser Grauzone meint, erklärt mir Phil* aus Johannesburg während der obligatorischen Inhalations-Pause im Freien: „Es gibt immer noch Clubs, die ohne Schild und ohne Lizenz arbeiten. Das kostet dann eine Art Extra-Gebühr, über die hier niemand redet. Ich habe auch schon erlebt, dass bei einer Verkehrskontrolle eine 200 g Box als Eigenbedarf durchgeht oder eine große Tüte einfach verschwindet. Du musst wissen, wir sind das Land der Road-Blocks, also Polizeikontrollen wie ihr in Deutschland sagt. Die sind hier, anders als ihr das kennt, eine Säule der Kriminalitätsbekämpfung. Leider weiß hier auch jedes Kind, dass jedwedes Vergehen seinen Preis hat. Den kann man meist direkt und ganz ohne Quittung bezahlen. Und weil Kleinstmengen ja seit 2018 keine Straftat mehr sind, geht es heutzutage eben um mehr als ein paar Gramm. Alle wollen legal verkaufen. Bis das irgendwann möglich ist, erreicht man das Ziel über Umwege. Mehr will ich dazu gar nicht sagen“, erklärt mir mein Gesprächspartner.
Südafrika ist ein Paradebeispiel dafür, was passiert, wenn Cannabis umfassend entkriminalisiert wird, ohne den Handel im gleichen Zuge zu regulieren. Im Prinzip hat das Verfassungsgericht durch sein Urteil 2018 ein rechtlich unscharfes Pendant zu der deutschen Säule eins geschaffen. Zwar wird die medizinische Cannabisbranche trotz einiger Startschwierigkeiten immer professioneller und unterliegt mittlerweile klaren Spielregeln. Doch die riesige Grauzone, in der sich Südafrikas Freizeitkonsumenten und -konsumentinnen tummeln, konnte nur entstehen, weil es de Regierung seit sechs Jahren nicht geschafft hat, Anbau und Verkauf von Freizeit-Cannabis zu regulieren, während Weed im Alltag entkriminalisiert und omnipräsent ist. Deutschland könnte Ähnliches blühen, falls zwischen Säule eins (Entkriminalisierung zum 1.4.24) und Säule zwei (Produktion und Verkauf) zu viel Zeit vergehen sollte.
*Name vom Autor geändert
Seit fast vier Jahren leitet Antonia die Public Affairs-Abteilung der Sanity Group und repräsentiert die Gruppe als Unternehmenssprecherin auf öffentlichen Veranstaltungen wie Messen, Konferenzen und Podiumsdiskussionen. Lest hier ihre Bewertung der gerade laufenden Gesetzesänderungen zur Cannabis-Legalisierung und zum Potential von Cannabis im medizinischen Bereich
“Wir waren noch nie so weit wie jetzt.”
Schon während ihres Studiums (International Business Management und Global Political Economy) in Berlin, Kassel und St. Petersburg, war es ihr wichtig, sich an der Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Politik zu bewegen. Das brachte sie beruflich in den Public Affairs-Bereich. Gleich nach ihrem Studium hat sich Antonia auf die Gesundheitspolitik konzentriert und Kunden aus der pharmazeutischen Industrie, der Biotechnologie und Medizintechnik, aber auch der digitalen Gesundheit zu ihren Public Affairs-Aktivitäten beraten. Und obwohl das noch zu Zeiten war, bevor das Gesetz zum medizinischen Cannabis 2017 in Deutschland eingeführt wurde, hat Antonia schon die ersten Cannabis-Unternehmen aus den USA und Kanada zu ihrem geplanten Markteintritt nach Deutschland beraten.
Von der Beratung wechselte Antonia dann auf die Verbandsseite und arbeitete für den Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) im Bereich industrielle Gesundheitswirtschaft. Als stellvertretende Vorstandsvorsitzende im Bundesverband pharmazeutischer Cannabinoidunternehmen e.V. (BPC) und Mitglied des Vorstandes im europäischen Verband Medicinal Cannabis Europe (MCE) setzt sich Antonia Menzel auch jetzt aktiv für die Interessen der Cannabisindustrie auf nationaler und internationaler Ebene ein.
Antonia, wie bewertest du die geplanten Gesetzesvorhaben zur Legalisierung?
Kurz und knapp: Wir waren noch nie so weit wie jetzt. Das darf man in der ganzen Debatte nicht unter den Tisch fallen lassen, dass wir gerade an einem Punkt sind, wo Deutschland Geschichte schreiben kann und wir jetzt den Umschwung zu einer veränderten Drogenpolitik schaffen können. Die Bestrebungen seitens der Bundesregierung sind da. Was die konkrete Ausgestaltung des Gesetzesentwürfe angeht, die jetzt vorliegen, sehe ich jedoch noch sehr viel Luft nach oben.
Was meinst du konkret?
Die Tatsache, dass überhaupt darüber diskutiert wird, dass Cannabis kein Betäubungsmittel mehr sein soll, die Tatsache, dass wir darüber reden, dass sich in Zukunft Cannabis- Anbauvereinigungen gründen dürfen, dass man vielleicht auch Pilotprojekte startet – so etwas hat es davor noch nie in Deutschland gegeben. Ich finde, das kann man erst einmal anerkennen. Jetzt geht es darum, wirklich ein Gesetz zu schaffen, das für alle beteiligten Stakeholder eine gute Möglichkeit der Umsetzung bietet. Und da sehe ich noch sehr viele Hürden im aktuellen Gesetzesentwurf. Gleichzeitig bieten sich im parlamentarischen Verfahren auch noch Möglichkeiten, dass man gewisse Dinge positiv verändern kann.
Was bedeutet das für den Bereich Medizinalcannabis?
Für den Bereich Medizinalcannabis finde ich es auf jeden Fall richtig und wichtig, dass Cannabis aus dem Betäubungsmittelgesetz herausgenommen und reklassifiziert wird. Ich sehe da sehr viele Vorteile sowohl für Patient:innen als auch für die Ärzteschaft: zum Beispiel, dass eine Verschreibung leichter wird, und dass es weniger Sicherungsanforderungen und weniger Dokumentationsaufwand geben wird. Doch es gibt auch noch sehr viel Verbesserungspotential im Medizinalcannabisgesetz, denn es wurden sehr viele Regelungen einfach aus dem Betäubungsmittelgesetz übernommen, was nicht zielführend ist. Da hätte man ein bisschen mehr auf die Patient:innen gucken müssen, was tatsächlich praktikabel im Alltag ist.
Welches Potenzial siehst du beim Einsatz von Medizinalcannabis?
Ich sehe da großes Potenzial, einfach weil Cannabis als Medizin in so vielen Indikationsfeldern eingesetzt werden kann: von der Schmerztherapie über die Palliativmedizin bis hin zum Bereich Frauengesundheit gibt es ganz viele Indikationsfelder, in denen Patient:innen chronisch krank sind und bislang keine wirkliche Aussicht auf Linderung ihrer Leiden hatten oder eben durch eine starke Opiattherapie sehr viele Nebenwirkungen haben. Da hat Cannabis das große Potenzial, eine sehr gute Add-on-Therapie zu sein.
Cannabis ist eine gute Begleittherapie, zum Beispiel insbesondere im Palliativbereich, wo die Menschen nicht mehr viel Zeit haben, ihren Lebensalltag zu gestalten. Solchen Patient:innen ein bisschen Lebensqualität zurückzugeben oder auch anderen chronisch schwerkranken Menschen in ihrem Alltag die Möglichkeit zu geben, wieder partizipieren zu können, wieder arbeiten gehen zu können und überhaupt irgendwie einen normalen Alltag zu leben, motiviert mich jeden Tag aufs Neue in dieser Industrie zu arbeiten.
Gibt es denn schon genug wissenschaftliche Evidenz für die Wirkung von Medizinalcannabis?
Ich würde mir wünschen, dass noch mehr Forschungsvorhaben in verschiedenen Bereichen weiter vorangetrieben werden. Es gibt schon sehr viel Evidenz. Aber es wird eben auch häufig kritisiert, dass die Evidenz noch nicht ausreichend ist. Und je mehr man an Forschung leistet, desto besser wird es auch irgendwann akzeptiert und anerkannt.
Bist du mit der Gesetzgebung zu den Cannabis Social Clubs zufrieden?
Im Bereich Cannabis Clubs halte ich es für einen großen Fehler, dass es keine Cannabis Social Clubs sein sollten, d.h. dass der Konsum komplett ausgeklammert wird. Da muss auf jeden Fall nachgebessert werden. Aber auch an vielen anderen Detailstellen, wie z.B. den Abstandsregelungen, bleibt der Gesetzentwurf weit hinter seinen Erwartungen zurück. Sehr kritisch sehe ich außerdem die Entkoppelung von Säule 1 und Säule 2, sprich, dass man die Pilotprojekte in einem separaten Gesetz behandelt. Man hätte jetzt alles in einem Aufwasch behandeln sollen, weil wir sonst Gefahr laufen, dass die Pilotprojekte in dieser Legislaturperiode vielleicht gar nicht mehr umgesetzt werden.
Hast du Wünsche und Ziele, was den Cannabis-Markt angeht?
Mein Ziel ist es auf jeden Fall, dass wir zum Anfang 2024 ein gutes und final abgestimmtes Cannabis-Gesetz haben werden, sprich, dass Cannabis aus dem Betäubungsmittelgesetz herausgenommen wird, dass wir gute Regelungen zu den Cannabis Social Clubs und zum Eigenanbau haben werden, und Verbesserungen für Patient:innen im Bereich Medizinalcannabis umgesetzt werden. Mittelfristig möchte ich, dass wir dasselbe auch noch in dieser Legislaturperiode für die Pilotprojekte aus der Säule 2 schaffen.
Vielen Dank für deine Einschätzung, liebe Antonia.
Auch interessant: Lest hier auf unserem Blog der Sanity Group, was Antonia zur Rolle von Frauen in der Cannabis-Branche sagt
Seit 2017 bedarf es in Deutschland keiner Ausnahmeregelung mehr, um sich Cannabis auf Rezept verschreiben zu lassen. Wer sich fragt: „Wie bekommt man Cannabis auf Rezept?“, sieht sich jedoch mit strengen Formalien und einer teils undurchsichtigen Informationslage konfrontiert.
Welche drei Schritte es auf dem Weg zur Therapie mit Cannabis als Medizin in Deutschland zu durchlaufen gilt und welche Regelungen dabei gelten, erfährst Du hier.
Der Weg zu einer möglichen Therapie mit Cannabis auf Rezept beginnt immer mit einem ärztlichen Gespräch. Gemeinsam mit Deinem Arzt oder Deiner Ärztin erörterst Du dabei, ob eine Cannabis Therapie in Deinem Fall infrage kommen könnte.
Grundsätzlich dürfen Vertragsärzte aller Fachrichtungen (mit Ausnahme von Zahn- und Tierärzten) Cannabis auf Rezept verschreiben. Du kannst Dich also an Deinen Hausarzt oder Deine Hausärztin wenden, ebenso wie an Fachärzt:innen. Laut § 31 Abs. 6 SGB V müssen aber die folgenden drei Punkte erfüllt sein, um Cannabis auf Rezept zu erhalten:
Der Nachweis dieser Voraussetzungen ist für Ärzt:innen mit einem gewissen Verwaltungsaufwand verbunden, zumal nicht definiert ist, wann es sich um eine schwerwiegende Erkrankung handelt. Dieser Umstand kann neben inhaltlichen Vorbehalten eine der Hürden bei der Verschreibung eines Cannabis Rezepts darstellen.
Zum 1. April 2022 hat sich der Verwaltungsaufwand für Ärzt:innen, die Cannabis auf Rezept verschreiben möchten, verringert. Erstmals seit der Gesetzesänderung von 2017 entfällt für sie die Dokumentationspflicht gegenüber dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM).
Eine Cannabis Verordnungshilfe für Ärzte kann Transparenz über bestehende Regelungen schaffen und unterstützen, indem sie nötige Informationen zur Verschreibung von Cannabis Rezepten bündelt sowie etwa etablierte Indikationen für cannabisbasierte Medikamente auflistet.
Zudem können potenzielle Cannabispatient:innen auf der Suche nach Ärzt:innen Unterstützung bei Vereinigungen wie dem deutschen Cannabisverband finden. Mittlerweile gibt es auch Telemedizin-Plattformen für medizinisches Cannabis. Auf diesen können sich die Patient:innen über die Möglichkeiten einer Cannabis-Therapie beraten lassen und online Cannabis-Rezepte erhalten.
Sofern die Entscheidung für ein Cannabis Rezept gefallen ist, dreht sich die nächste Frage um die Art des Cannabis Medikaments sowie die Übernahme der Kosten.
So können auf einem Cannabis Rezept entweder medizinische Cannabisblüten, cannabinoidhaltige Arzneimittel oder Vollspektrumextrakte verschrieben werden. Welche Darreichungsform in Deinem Fall am besten geeignet sein könnte, entscheidest Du in gemeinsamer Absprache mit dem behandelnden Arzt oder der behandelnden Ärztin.
Sofern eine Kostenübernahme der Cannabis Therapie gewünscht ist, reichst Du nun den entsprechenden Antrag bei der Krankenkasse ein. Dieser besteht aus zwei Teilen: Einem schriftlichen formlosen Antrag von Deiner Seite sowie einem ärztlichen Fragebogen, den der behandelnde Arzt oder die behandelnde Ärztin ausfüllt. Beide Teile des Antrags lässt Du als Patient:in gesammelt Deiner Krankenkasse zukommen.
Im ärztlichen Fragebogen des Antrags müssen Ärzt:innen exakte Angaben zur Behandlung und dem Cannabis Medikament machen. Darüber hinaus sind genaue Informationen zur Dosierung und Darreichungsform sowie eine eingehende Begründung erforderlich, warum nur eine Therapie mit Cannabis auf Rezept infrage kommt.
Beim Ausfüllen des Antrags ist besondere Vorsicht geboten: Ein nicht ausreichend gewissenhaft ausgefüllter Antrag auf Kostenübernahme ist einer der Hauptgründe für eine Ablehnung.
Grundsätzlich darf eine Ablehnung des Antrags auf Kostenübernahme durch die Krankenkasse nur in begründeten Ausnahmefällen erfolgen.
Innerhalb von drei bis fünf Wochen müssen die gesetzlichen Krankenkassen über den Antrag auf Kostenübernahme entscheiden. Eine Ausnahme gilt, wenn eine Cannabis Therapie im Krankenhaus begonnen wurde oder im Rahmen der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung stattfinden soll. Dann liegt die Frist bei nur drei Tagen.
Wurde kein Antrag auf Kostenübernahme gestellt oder dieser abgelehnt, besteht die Möglichkeit einer Verschreibung von Cannabis auf Privatrezept. Das Prinzip ist simpel: Der Arzt oder die behandelnde Ärztin stellt ein Privatrezept aus, und die Patient:innen zahlen die Kosten für die Cannabis Therapie selbst.
Unabhängig davon, ob Du nun ein Kassenrezept oder ein Privatrezept in den Händen hältst, lässt sich ein Cannabis Rezept ganz regulär in der Apotheke einlösen.
In der Theorie sollten Cannabispatient:innen ihr Cannabis Rezept sowohl vor Ort als auch online in jeder Apotheke einlösen können. Wer das ausprobiert, könnte in der Praxis jedoch auf Hindernisse stoßen. Mitunter liegen cannabinoidbasierte Medikamente nicht in der benötigten Menge oder Darreichungsform vor oder sind überhaupt nicht vorrätig.
Auf der Suche nach einer Apotheke kann unter anderem der Verband der Cannabis versorgenden Apotheken e.V. (VCA) Unterstützung bieten. Alternativ können Patient:innen ihr Cannabis Rezept auch online einlösen, etwa auf Apotheken-Plattformen wie der Grünen Blüte.
Laut § 31 Abs. 6 SGB V kann Cannabis auf Rezept bei „schwerwiegenden Erkrankungen“ verschrieben werden. Wann eine Krankheit als „schwerwiegend“ gilt, ist im Gesetz jedoch nicht geregelt.
Bei welchen Erkrankungen Cannabis auf Rezept in der Praxis verordnet wurde, erfasste das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) von 2017 bis 2022 in seiner Begleiterhebung. Am häufigsten wurde medizinisches Cannabis demnach, in absteigender Reihenfolge, bei folgenden Krankheiten/Symptomatiken verschrieben:
Eine ausführliche Auflistung der Cannabis Verordnungen von 2017 bis 2022 findest Du im Abschlussbericht der Begleiterhebung auf der Website des BfArM.
In aller Regel gilt: Krankenkassen dürfen den Antrag auf Kostenübernahme von Cannabis ablehnen und prüfen daher jeden Einzelfall. Wann die Kosten für Cannabis auf Rezept von welcher Krankenkasse übernommen werden, lässt sich daher nicht pauschal beurteilen.
2022 beschloss der erste Senat als höchstes deutsches Sozialgericht, dass ein Antrag auf Kostenübernahme von Cannabis von ärztlicher Seite eine „besonders sorgfältige und umfassende Einschätzung“ beinhalten muss. Dazu gehören neben der Beschreibung des Gesundheitszustands, des Krankheitsbilds und des angestrebten Behandlungsziels schon erprobte Therapien sowie deren Ergebnisse und mögliche Nebenwirkungen.
Sofern eine entsprechende Erklärung bei der Krankenkasse vorgelegt wird, eine schwerwiegende Erkrankung vorliegt, alle anderen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind und eine Aussicht auf eine positive Auswirkung von Cannabis auf den Krankheitsverlauf besteht, darf die Krankenkasse einen Antrag auf Kostenübernahme entsprechend § 31 Abs. 6 SGB V nur in begründeten Ausnahmefällen ablehnen.
Einen Sonderfall bilden Selektivverträge, bei denen die Krankenkassen in Ausnahmefällen auf ihren Genehmigungsvorbehalt verzichten. Unter bestimmten Voraussetzungen werden die Kosten für medizinisches Cannabis dann ohne entsprechenden Antrag übernommen und damit die Wartezeit auf den Therapiebeginn deutlich verkürzt. Einen Selektivvertrag schloss 2022 etwa die AOK Rheinland/Hamburg mit der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin e. V. (DGS) ab.
Seit 2017 dürfen Ärzt:innen in Deutschland Cannabis gemäß § 31 Abs. 6 SGB V ohne Ausnahmeerlaubnis verschreiben. Dafür müssen jedoch alle drei folgenden Voraussetzungen vorliegen:
Wird der Antrag auf Kostenübernahme von Cannabis von der Krankenkasse genehmigt, müssen Patient:innen lediglich die Rezeptgebühr von 5 bis 10 Euro zahlen. Sofern Patient:innen das medizinische Cannabis selbst zahlen, hängen die Kosten unter anderem von der Art des Cannabis-Produkts sowie dessen Menge und Herkunft ab.
Für medizinische Cannabisblüten aus deutschem Anbau etwa liegen die Abgabepreise der Apotheken an Patient:innen derzeit bei 10,30 Euro pro Gramm. Die Bestände an deutschem Cannabis sind jedoch begrenzt und die Preise für medizinische Blüten aus dem Ausland deutlich höher (Stand: Dezember 2022).
Der bisherige Gesetzesentwurf legt nahe, dass für Ärzte und Ärztinnen die bisherige Pflicht, Cannabis zu medizinischen Zwecken auf einem Betäubungsmittelrezept zu verschreiben, entfällt. Dennoch soll medizinisches Cannabis weiterhin verschreibungspflichtig bleiben. Allerdings könnte die neue Regelung die Verschreibung von Cannabis Rezepten sowohl für Ärzte und Ärztinnen als auch für Patient:innen vereinfachen. Genaueres kann jedoch erst gesagt werden, wenn das CanG verabschiedet wurde.
Kann ich mein Cannabis Rezept online einlösen?
Ja, Cannabis Rezepte können auch in Online-Apotheken eingelöst werden - zumindest theoretisch. Denn nicht jede Apotheke führt Cannabisarzneimittel. Darüber hinaus kann es auch vorkommen, dass die benötigte Darreichungsform oder Menge derzeit nicht vorliegt. Es gibt jedoch auch Apotheken-Plattformen online, die sich auf Cannabis spezialisiert haben.
Ist es schwer, Cannabis auf Rezept zu bekommen?
Um Cannabis auf Rezept zu erhalten, müssen zunächst zahlreiche Voraussetzungen erfüllt werden. Unter anderem muss eine schwerwiegende Erkrankung vorliegen. Darüber hinaus muss die Kostenübernahme zunächst bei der Krankenkasse beantragt werden. Alles in allem sind viele Anforderungen und Schritte notwendig, um Cannabis auf Rezept zu erhalten.
Kann man trotz Cannabis Rezept Auto fahren?
Wer Cannabis auf Rezept nimmt, darf unter bestimmten Bedingungen weiterhin Autofahren. Sofern jedoch die Fahrtüchtigkeit durch das cannabisbasierte Medikament eingeschränkt wird, kann den Cannabispatient:innen die Fahreignung entzogen werden.