Legal – illegal – Weedpokal: Die Grundlagen der modernen Cannabis-Zucht
Fast alle Cannabis-Sorten haben wohlklingende Namen. Manche sind einer highteren Phantasie entsprungen, andere beschreiben die Eigenschaften sowie die Wirkung eines Strains. Einige Züchter:innen halten es wie Biolog:innen und nutzen den eigenen Namen zur Benennung einer neuen Cannabis-Sorte.
Insbesondere die erste Generation der zu dieser Zeit ausnahmslos männlichen, damals noch kriminellen Cannabis-Züchter hat eine Reihe von Legenden hervorgebracht: Die Haze-Brüder, David Watson aka Sam the Skunkman, Neville Schoenmakers, Scott Blakey aka Shantibaba, Karel Schelfhout, Ben Dronkers, Soma sowie einige andere haben mit ihren Sorten zwischen 1970 und 2000 die Grundlagen der modernen Cannabiszucht geschaffen. Der lange illegale Status ihres Treibens hat natürlich einen großen Teil zur Legendenbildung beigetragen.
Not macht erfinderisch – zu den Ursprüngen der Cannabislegenden
Den größten Verdienst an der weltweiten Breeder-PR haben allerdings die Strafverfolgungsbehörden. Alle Breeder der modernen Cannabis-Zucht wurden früher oder später aufgrund ihrer Aktivitäten kriminalisiert, eingesperrt und nicht selten mit de facto Berufsverboten belegt. Schlussendlich hat die weltweite Verfolgung von Breedern nicht die Entwicklung neuer Cannabissorten verhindert, sondern zur Heroisierung ihrer Entwickler geführt.
Die meisten dieser Weed-Pioniere können heute trotz aller Schwierigkeiten auf eine erfolgreiche Karriere als Cannabis-Züchter zurückblicken. Einige wie Karel Schelfhout oder Ben Dronkers konnten aus dem einst halb-legalem Business sogar ein erfolgreiches Familienunternehmen machen und ihr Wissen in diesem Zuge erfolgreich ihren Söhnen vermitteln.
Die Cannabis-Zucht: oft ein Familien- und Männerbusiness
So war Ben Dronkers Sohn Alan maßgeblich an der Schaffung von „Jack Herer“ und anderen Sensi-Strains beteiligt. Auch Karels Sohn Kees ist in die Fußstapfen seines Vaters getreten und hat mit „Creamy Kees“ eine sehr terpenreiche Medizinal-Hanfsorte erschaffen, die allerhöchste Standards erfüllt.
Leider haben es nicht alle Cannabis-Enthusiast:innen der vergangenen 50 Jahre geschafft, aus ihrer Passion ein erfolgreiches Geschäftsmodell zu machen. Denn zur Produktion von Cannabissamen, die in vielen Ländern dieser Welt legal sind, muss man Cannabis zuerst in großem Stil anbauen. Das wiederum ist fast überall verboten.
Obwohl einige Länder inzwischen Ausnahmen für den Anbau von medizinischem Cannabis machen, darf Cannabis zum Freizeitgebrauch derzeit nur in Kanada angebaut werden. Erlaubt ist das auch in einigen US-Bundesstaaten, wo es aber dem US-Bundesrecht widerspricht. Nachdem bis vor wenigen Jahren noch alle Zuchtaktivitäten im Untergrund stattfanden, kann immerhin die Produktion medizinischer Sorten nun also die Angst vor Strafverfolgung peu à peu ablösen.
Da es bei der Entwicklung einer wohlschmeckenden und wirksamen Sorte heutzutage auch ums Geld geht, verweisen viele Samenbanken bei ihren Strains auch auf deren legendäre Schöpfer:innen, die lange Historie oder sonstige Besonderheiten einer Sorte. So entstanden neben wahren Legenden auch zahlreiche Halbwahrheiten und Gerüchte rund um die einst illegale Kunst der Cannabis-Zucht. Ein Blick zurück bis in die späten 1960er-Jahre kann helfen, einige dieser Cannabis-Mythen zu entwirren:
Die 1960er-Jahre: Nebulöse Anfangsjahre
Ursprünglich ging es bei der Selektion von Cannabis nicht ums große Geld, sondern eher darum, dem kalifornischen Klima ein Schnippchen zu schlagen. In Kalifornien fingen Ende der 1960er-Jahre ein paar ambitionierte Hippies an, verschiedene Cannabis-Sorten untereinander zu kreuzen.
Zu den bekanntesten Sorten aus dieser Zeit gehören „Accapulco Gold“ oder „Haze“. Letzteres wurde von einem kalifornischen Brüder- und Breederpaar, den „Haze-Brothers“, aus den damals besten Sativas aus Kolumbien, Mexiko, Thailand und Südindien gekreuzt. Denn anders als Strains aus dem kälteren Nordindien, Pakistan oder Nepal zählen südindische Cannabis-Landrassen zu den Sativa-Strains.
Das Problem mit den meist aus Mexiko oder karibischen Staaten wie Kolumbien, Jamaika oder Panama stammenden Sativa-Landrassen lag in deren langen Blühperioden – sie konnten im weiter nördlich gelegenen Kalifornien nicht richtig ausreifen.
Die 1970er-Jahre: Fernöstliche Einflüsse verändern die Cannabis-Zucht
Das änderte sich, als der Ferne Osten zum Reiseziel US-amerikanischer Hippies wurde. Nach ihrer Rückkehr kreuzten sie Indica-Landrassen aus den nördlichen Bergregionen des Subkontinents mit kalifornischen Sorten. So brachte unter anderem die „Brotherhood of Eternal Love“ gezielt Indica-Saatgut nach Kalifornien.
Die kürzere Blühzeit von Indica-Pflanzen sollte sich nach dem Kreuzen mit Sativa-Pflanzen als der entscheidende Baustein für eine schnellere Reifezeit und somit für die gesamte Cannabis-Zucht erweisen – und das nicht nur in nördlichen Breitengraden.
Zu den bekanntesten Züchtern dieser ersten Breeder-Generation Kaliforniens zählen David Watson aka Sam the Skunkman, Medecino Joe aka Romulan Joe und Maple Leaf Wilson.
Watson, Joe und Wilson gründeten Mitte der 1970er-Jahre „Sacred Seeds“ und züchteten mit „Skunk#1“ den ersten Hybrid, von dem 1978/79 die ersten Anzeigen und Fotos im „Homegrown“-Magazin aus Großbritannien erschienen. Andere Sacred Seeds Sorten der ersten Stunde waren „Haze El Primo“ oder „Afghani Hindu Kush“.
Das Amsterdam der 1980er-Jahre – Die Keimzelle der Sortenvielfalt
Als David Watson und seine Mitstreiter Anfang der 1980er-Jahre ins Visier der Behörden gerieten und Sacred Seeds im Jahr 1982 von der DEA dicht gemacht wurde, entschied sich Watson, seine züchterischen und geschäftlichen Aktivitäten in die Niederlande zu verlegen.
Dort hatte sich wenige Jahre zuvor eine liberale Cannabis-Politik durchgesetzt, wodurch Coffeeshops und damals auch deren Lieferanten fast unbehelligt von den niederländischen Strafverfolgungsbehörden agieren konnten. Der Anbau von Cannabis war zu dieser Zeit in den Niederlanden noch kein Thema. In den Coffeeshops dominierte importiertes Haschisch.
Das Gras stammte meistens aus Afrika, Kolumbien oder Fernost, war voller Samen, roch muffig und war fast immer von absolut minderer Qualität. Wirklich leckere Buds waren eine echte Rarität, der Indoor Anbau von Cannabis noch gar nicht erfunden.
Fruchtbare Cannabis-Kooperationen entstehen
In Amsterdam kam es dann zu einer Begegnung, die wegweisend für die weltweite Cannabiszucht sein sollte. Watson traf den Australier Neville Schoenmakers. Auch Schoenmakers war ambitionierter Grower und hatte von seinen Weltreisen insbesondere asiatische Cannabissorten mitgebracht.
Sam und Neville tauschten Wissen und Saatgut untereinander aus und Neville eröffnete dann 1984 mit „The Seed Bank of Holland“ den ersten Cannabis-Samenshop. Bestseller war das einst von der Sacred-Seed-Gang eingeschmuggelte, kalifornische „Skunk#1”. So wurde der Hybrid schnell zum Bestseller und gleichzeitig zur Urmutter vieler Cannabis-Hybriden. Andere Frühwerke Nevilles wie „Afghan No.1“ oder „Mazar“ besitzen heutzutage ebenfalls Legendenstatus.
Bald schon interessierten sich auch einheimische Cannabis-Liebhaber für die neue Genetik. So lernte Schoenmakers Karel Schelfhout und Ben Dronkers kennen. Schelfhout unterstützte Schoenmakers bei seinen Zuchtversuchen, machte sich aber alsbald als Spezialist für Haze-Selektionen selbstständig. So schuf Karel mit „Karel’s Haze“ schon 1985 seine erste eigene Sorte und gründete mit dem „Super Sativa Club“ eine Samenbank, die sich sehr früh der Zucht von Sativa-lastigen Strains widmete.
Dronkers hingegen hatte vor der Gründung von „Sensi Seeds“ in Zentral- und Südostasien sowie aus dem asiatischen Subkontinent Cannabis-Genetik gesammelt. Aus Dronkers Kreuzungen mit kalifornischen Skunk-Hybriden entstanden die ersten Indica-dominanten Hybride wie „Early Girl“ oder „Early Pearl“.
Die 1990er-Jahre: Von draußen nach drinnen – Cannabis unter Kunstlicht
Doch die klimatischen Bedingungen in den Niederlanden waren viel schlechter als in Kalifornien. Für gute Ernten benötigte man Gewächshäuser und orientierte sich an der Technik niederländischer Gemüsebauer:innen. Diese optimierten ihre Erträge nicht nur mithilfe von Gewächshäusern, sondern nutzten zusätzlich Kunstlicht.
Die Beleuchtung steigerte nicht nur den Ertrag, sondern erhöhte nebenbei den Tarneffekt der damals schon illegalen Aktivitäten. Als die Polizei in den Niederlanden Ende der 1980er-Jahre anfing, den Cannabisanbau nicht mehr im großen Stil zu dulden, tauschten die Akteure ihre Glashäuser gegen feste Wände und installierten immer mehr Lampen. So entstand der Indoor-Anbau ursprünglich nicht aus ökonomischen Gründen, sondern zur Vermeidung strafrechtlicher Konsequenzen.
Schoenmakers ließ sich im Cannabis Castle, einem alten Herrenhaus im niederländischen Arnheim, nieder. Dort konnte er seine bis dato halb-professionelle Selektion unter optimalen Bedingungen intensivieren. Bis heute gilt das Cannabis Castle als Brutstätte vieler legendärer Cannabis-Sorten wie „Northern Light #5 Haze“.
Der Austausch von Cannabis-Samen und Wissen in Kombination mit den niederländischen Fähigkeiten beim Anbau unter Kunstlicht katapultierte die Cannabis-Zucht in bislang ungeahnte Dimensionen. Mit dem Arnheimer Cannabis-Schloss schufen die Pioniere der 1980er-Jahre in den Niederlanden die Grundlage für eine Disziplin, die man heute weltweit als „Homegrowing“ kennt.
Die “Operation Green Merchant”
Schoenmakers Seed Bank hatte seit 1985 auch Saatgut in die USA versendet und war so ins Visier der DEA geraten. Die hatte nach David Watsons Flucht aus den USA in 1982 ohnehin die gesamte Szene im Visier und nahm Schoenmakers Samenhandel 1989 als Anlass zur „Operation Green Merchant“. Nevilles „Seed Bank of Holland“ sowie das „High Times“- und das „Sensimilla“-Magazin wurden des internationalen Drogenhandels beschuldigt.
Schoenmakers verkaufte daraufhin seine Samenbank an Ben Dronkers und aus „Sensi Seeds“ wurde die „Sensi Seed Bank“. Neville Schoenmakers tauchte aus Angst, in die USA ausgeliefert zu werden, für ein paar Jahre ab. Trotz Schoenmakers Befürchtungen stimmten die Niederlande dem Auslieferungsantrag der USA nie zu.
Nachdem sich Neville einige Jahre versteckt hatte, gründete er 1997 zusammen mit Arjan Roskam „Greenhouse Seeds”. Hier arbeitete er mit seinem Landsmann Scott Blakey aka Shantibaba an Sorten wie „Neville’s Haze“, „G13xHashplant“ oder „Super Silver Haze“. Ihre Kreationen gewannen zahlreiche Cups und galten damals als beste Genetik weltweit.
Aufgrund wachsender Differenzen verließen Schoenmakers und Shantibaba Greenhouse Seeds nach nur wenigen Jahren. Shantibaba gründete mit dem Ex-Hasch Schmuggler Howard Marks (aka Mr.Nice) die Mr. Nice Seedbank und kümmert sich seit 2013 mit der CBD-Crew auch um die Zucht medizinischer Sorten.
Schoenmakers kehrte nach Australien zurück und widmete sich der Forschung an Cannabis auf wissenschaftlicher Ebene. Neville durfte seit 2015 federführend an der Entwicklung des staatlichen Anbauprogramms für medizinisches Cannabis mitarbeiten. Er starb 2019 im Alter von 62 Jahren im australischen Osbourne Park.
Die 2000er-Jahre: Umzug in wärmere Gefilde
Bis zum Jahr 2000 hatten sich in den Niederlanden aufgrund der sehr liberalen Gesetzeslage zahlreiche Hanfsamen-Produzent:innen etabliert. Mit dem Rechtsruck der Politik Anfang der 2000er-Jahre begann man der niederländischen Cannabis-Industrie langsam den Boden unter den Füßen wegzuziehen.
Aus einer umfassenden Duldungspolitik wurde ein Cannabis-politisches Regelwerk, das nicht nur wegen der Backdoor-Problematik eines Rechtsstaates nicht würdig ist.
So wurde es fast unmöglich, in den Niederlanden professionell Samen zu produzieren. Spätestens mit dem Growshop-Gesetz von 2015 hatten immer mehr Samenproduzent:innen entschieden, ihre Aktivitäten nach Spanien zu verlegen.
Seitdem produzieren nicht nur Paradise Seeds sondern auch Dutch Passion, Barneys Farm, Royal Queen Seeds und Sensi Seeds, oft mit Unterstützung geduldeter Cannabis Social Clubs, ihr Saatgut in Spanien.
Die Feminisierung von Cannabissamen schreitet voran
Ebenso zu Anfang der 2000er-Jahre entwickelte ein ambitioniertes Breeder-Kollektiv im Baskenland die bereits bekannte Technik zur Feminisierung von Cannabissamen weiter.
Die Breeder, aus denen später die Seedbank Dinafem werden sollte, vereinfachten die Zucht ausschließlich weiblicher Hanfpflanzen immens. Damals galt diese Technik unter echten Cannabis-Enthusiast:innen noch als ziemlich uncool, weil die Pflanzen zur Gewinnung des Saatgut chemisch behandelt werden, um im Anschluss fast ausschließlich weibliche Samen zu produzieren.
Nach ein paar Jahren konnten die Breeder des La Motta Kollektivs fast jede Sorte als verweiblichte Variante anbieten und wurden zu Dinafem.
Die Einkreuzung von Cannabis Ruderalis
Der nächste und bislang letzte Meilenstein war die Einkreuzung von Cannabis Ruderalis Samen, an deren Ende so genannte Automatic-Sorten standen. Erstmals war der Ruderalhanf 1942 in Sibirien als eigene Art identifiziert und wissenschaftlich beschrieben worden.
Anders als Cannabis Sativa oder Cannabis Indica hängt der Beginn der Blütezeit bei Cannabis Ruderalis nicht von der Photoperiode (Indoor von der Belichtungszeit) ab.
Egal, wie lange oder intensiv es Licht bekommt, blüht Ruderalhanf sechs bis acht Wochen nach seiner Aussaat ganz von selbst. Verantwortlich dafür ist ein Cannabis-Genom, das in Sativa oder Indica Sorten rezessiv und nur beim Ruderalhanf dominant ist.
Die Geburt der Automatic-Sorten
Als erste Automatic-Sorte gilt eine Kreuzung einer „Mexican Sativa“ und einer unbekannten Ruderalis, die ein gewisser Joint-Doctor gut 20 Jahre zuvor selektiert hatte. Er nannte die wenig potente Sorte „RudiMex“.
Grundsätzlich weisen Automatic-Varianten aufgrund der schnellen Entwicklungszeit einen niedrigeren Wirkstoffgehalt auf als reguläre oder feminisierte Pflanzen der gleichen Sorte. Um den Wirkstoffgehalt zu steigern, kreuzte der unbekannte Cannaseur seine „RudiMex“ mit einer „Williams Wonder x Northern Lights“.
Nach der Stabilisierung ihrer Eigenschaften durch natürliche Selektion nannte Joint-Doctor sein Baby „Lowryder“ und brachte sie als erste kommerzielle Automatic-Sorte auf den Markt. Aus deren Kreuzung mit einer „New York Diesel“ wiederum wurde „Diesel Ryder“. Die war ertragreicher als die „Lowryder“-Genetik und mit 17-19 % Wirkstoffgehalt auch fast so potent wie reguläre Sorten.
Da die verkürzte Blüh- und Wachstumsphase bis zu drei Outdoor-Ernten im Jahr ermöglicht, erfreuen sich Automatic-Sorten besonders unter südeuropäischen Weed-Enthusiast:innen bis heute großer Beliebtheit.
Die Mitte der 2020er-Jahre: Blühende Zukunft nach der Legalisierung?
Egal ob regulär, feminisiert, auto- oder autofem – nach der geplanten Politikwende sollten Samenbanken in eine blühende Zukunft schauen können.
Noch fehlen Gesetze und Regelwerke, die den Firmen Rechtssicherheit von Seed bis hin zum Sale verschaffen. Hier ist, besonders im Samenverbotsland Deutschland, die Politik gefragt. Weil man zur Saatgutproduktion echtes Weed anbauen muss, kann eine solche Rechtssicherheit nur durch eine umfassende Regulierung des Freizeitmarktes gewährleistet werden.
Aber auch die Samenbanken sind gefragt, ein Regelwerk für die längst überfällige Standardisierung ihrer Seeds zu entwickeln. Geht es um Details wie den durchschnittlichen Ertrag, Topfgröße/Stelldichte der Pflanzen, Dauer der Blühperiode sowie andere Kriterien zur Zucht, hat fast jede Seedbank ihre eigenen Parameter. Das ist nicht sehr kundenfreundlich und so sollte die Einigung auf gemeinsame Parameter selbstverständlicher Teil eines zukünftig regulierten Cannabismarktes sein.