Wie ich meinem Kind erkläre, dass ich Cannabis konsumiere

Seit der Teil-Legalisierung von Cannabis könnten Eltern viel sorgenfreier mit ihren Kindern über ihren eigenen Konsum reden – sofern sie es möchten. Die Frage ist nur: Wie? Neben den richtigen Tipps brauchen Eltern eigentlich einen Ausdruck des KCanG (Konsumcannabisgesetz), um im Rahmen einer zeitgemäßen und somit Konsum akzeptierenden Aufklärung nicht gegen das neue Gesetz zu verstoßen.

Die Zeiten ändern sich

Als Kind der 1970er Jahre bin ich mit Kinderbowle, Schokoladenzigaretten und Apfelschnaps-Bonbons groß geworden. Damals hat sich kaum jemand Gedanken darüber gemacht, dass ein allzu sorgloser Umgang mit legalen Substanzen den Nachwuchs eventuell zu deren späterem Missbrauch animieren könnte. Zu Silvester durfte man sogar mit einem Schlückchen echten Sekt, gemischt mit O-Saft, anstoßen oder auch mal eine Schnaps getränkte Erdbeere aus der damals auf jeder Party obligatorischen Bowle naschen. Der Geruch von kalten Kippen und verqualmte Räume waren für uns Kinder damals so alltäglich wie Schlaghosen und Toast-Hawaii. Über die Folgeschäden des Aktiv- und Passivrauchens machten die Erwachsenen allenfalls schlechte Witze, über die heute keiner mehr lachen würde. Kurzum, damals mussten Eltern ihre Laster und Abhängigkeiten nicht vor dem Nachwuchs verbergen, im Gegenteil: Man wurde schon früh darauf vorbereitet, welche Substanzen zum Alltag der Erwachsenenwelt gehören, wobei für illegale Substanzen dabei natürlich kein Platz war.

Zwar gehen wir mit Kaugummizigaretten, Kinderbier und Weckmann-Pfeifen heutzutage ein wenig kritischer um, aber Alkohol ist in Sachen Jugendschutz immer noch weitaus laxer reguliert als Cannabis. Ein von der ehemaligen Gesundheitsministerin Künast geplantes Gesetzesvorhaben, die Kinderzigaretten verbieten wollte, wurde bis heute nie umgesetzt, Traubensaft heißt bei edlen Winzern nicht selten Kinderwein. Doch trotz der legalen Verfügbarkeit von Nikotin sinkt der Anteil jugendlicher Raucher:innen dank einer guten Präventionskampagne und Werbeverboten auch ohne neue Verbote seit Jahren.

Neben der öffentlichen Aufklärung hat die Vorbildfunktion der Eltern den entscheidenden Einfluss auf das, was sich die nächste Generation später mal konsumiert. Bei Alkohol können Mütter und Väter den Nachwuchs zu gegebener Zeit an eigenen Konsumerlebnissen teilhaben lassen: Mit 14 Jahren dürfen Jugendliche unter Aufsicht ihrer Eltern alkoholische Getränke wie Bier oder Wein probieren. Der Gedanke hinter dem „begleitenden Konsum“ ist, dass unproblematischer Alkoholkonsum von den Eltern gelehrt und von den Jugendlichen gelernt wird. Bei Cannabis bleibt diese Art der Konsumbegleitung weiterhin verboten.

Vertuschen funktioniert nicht

Cannabis-Patient:innen mit Kindern haben es da noch am einfachsten, weil man selbst den Kleinsten erklären kann, dass Papas oder Mamas Medizin aus der Apotheke kommt und nicht in Kinderhände gehört.

Wie aber erklären verantwortungsbewusste Eltern dem eigenen Nachwuchs, dass sie nach Feierabend ab und an Cannabis konsumieren? Schließlich ist es nicht mehr verboten. Ist man dann ein schlechtes Vorbild oder animiert so sein Kind gar zum Kiffen? Sollten Eltern lieber heimlich konsumieren, selbst wenn es jetzt legal ist? Gesellschaftliche Erfahrungswerte wie beim Alkohol gibt es kaum, weil sich unsere Eltern und Großeltern nie ernsthaft mit Cannabis auseinandergesetzt hatten: Als die Hanfpflanze Ende der 1960er und in den 1970er Jahre eine Renaissance feierte, war Cannabis Teil der 68er Jugend- und Studentenbewegung. Hippies fanden Hanf prima, alle anderen fanden Kiffen doof. Jetzt, wo die zweite und dritte Generation Cannabis als Genussmittel oder als Medizin konsumiert und der Besitz teil-legalisiert ist, gibt es aber immer mehr cannafine  Eltern (Eltern mit Cannabiserfahrung) – und damit auch viele Kinder, die Fragen stellen.

Beim Freizeitkonsum aber haben viele Eltern ein Problem, gegenüber dem eigenen Nachwuchs ehrlich zu sein. Immerhin ist Gras nur halb legal und trotz neuer Gesetzeslage noch immer gesellschaftlich stigmatisiert. Sollte man mit den eigenen Kindern überhaupt über den eigenen Konsum reden, oder lügt man sie besser an, um kein schlechtes Vorbild zu sein?

Geht es um die Drogenmündigkeit des eigenen Nachwuchses, sind Lügen und ausweichende Antworten die schlechteste aller Optionen. Wer meint, das Vertuschen des Feierabend-Joints funktioniere, macht sich meistens was vor. Die konischen Zigaretten mit Kräutertabak, lange Papers oder Pfeifen werfen selbst dann Fragen auf, wenn man denkt, sie kindersicher versteckt und immer nur klammheimlich oder mehrere Stunden nach dem Sandmännchen konsumiert zu haben. Ist man dann irgendwann selbst als Lügner oder Heuchler enttarnt, wird es umso schwerer, den gewünschten Einfluss auf die ersten Erfahrungen der Kinder zu nehmen.

Selbstkritik als Referenz

Einem Kleinkind kann man noch erklären, dass Zigaretten giftig und nur für Erwachsene seien. Aber welcher Raucher gesteht der 12-jährigen Tochter oder dem 14-jährigen Sohn ein paar Jahre später, stark nikotinabhängig zu sein? Welcher Bierliebhaber erzählt seinem Nachwuchs schon, dass Alkoholmissbrauch ähnliche Folgen wie der Konsum harter Drogen haben kann?

Kurzum: Problematische Konsummuster oder auch Substanzmissbrauch werden zu selten am eigenen, oft nicht ganz vorbildhaften Verhalten erläutert. Dazu gehören eben aber auch das Feierabend-Bier, die Zigarette nach dem Essen oder der gelegentliche  Feierabend-Joint auf dem Balkon. Wer nur heimlich konsumiert, wird trotzdem eines Tages gefragt werden: „Warum rauchst du eigentlich jeden Tag?“ 

“Weil ich abhängig bin. Ich habe zu früh angefangen und danach schon oft versucht, damit aufzuhören. Aber dann bekomme ich schlechte Laune und schlafe schlecht, bis ich wieder anfange, obwohl das schädlich ist. Das nennt man abhängig, genau gesagt nikotinabhängig.“ Eine solche Antwort fällt vielen schwer, wäre aber ehrlich und für die eigenen Kinder ein anschauliches Beispiel für ein problematisches Konsummuster.

Die Alternative klingt so: „Meine Eltern geben nicht mal zu, dass sie abends heimlich kiffen/rauchen/trinken. Und die wollen mir das verbieten.“ Bevor so etwas passiert, sollte man den inneren Schweinehund einmal überwinden und dem Nachwuchs den eigenen Konsum erläutern – auch wenn die Reflexion des eigenen Konsummusters manchmal schwerfällt.

Selbst Eltern, die nur ab und zu Cannabis konsumieren, sollten ihr unproblematisches Konsummuster vermitteln, bevor es der eigene Nachwuchs eventuell falsch interpretiert und Cannabis für absolut unbedenklich hält. Die Bundesregierung geht auf Grundlage der Capris Studie aus dem Jahr 2021 von 9 % Cannabis-User:innen aus, die problematisch konsumieren. Der Deutsche Hanfverband schreibt, die Art und Weise der statistischen Erfassung der vergangenen Jahre habe mehr Problemkonsumierende erschaffen, als es gäbe. Beim DHV liest man deshalb, es handele sich lediglich um 4-7 % aller Cannabis-Konsumierenden.

Wer diesen Mut nicht hat oder auch um den eigenen Vorbildcharakter fürchtet, muss sich nicht wundern, es mit gleicher Münze heimgezahlt zu bekommen und selbst angelogen zu werden und somit keinen blassen Schimmer zu haben, was sich das eigene Kind “reinzieht”.

Der eigene Konsum, sei er auch noch so moderat, verpflichtet zur lückenlosen Aufklärung über Alkohol und über Cannabis sowie alle anderen Substanzen, die einem heutzutage im Laufe des Lebens so über den Weg laufen werden. Eine von der Substanz unabhängige Drogenaufklärung kann nur wirken, bevor die Probierphase bei den Jugendlichen anfängt.

Wenn Du kiffst, dann ..….“

Die Androhung repressiver Maßnahmen kann das Konsumverhalten junger Menschen seit 40 Jahren nicht beeinflussen – gleiches im familiären Kreis, um die Neugier der Sprösslinge zu zügeln.

„Wenn ihr schon kiffen müsst, raucht wenigstens nicht“ wird eher als freundschaftlicher Rat wahrgenommen als ein kategorisches „Nein“, ein altbackenes „Trink doch lieber ein Bier“ oder ein ambivalentes „Mach doch, was Du willst“.

Begleitenden Konsum wie bei Alkohol erlauben?

Man kann nicht früh genug damit anfangen, die eigenen Kinder über Cannabis aufzuklären, um spätere Probleme zu vermeiden. Anders verhält es sich jedoch, wenn es ums Probieren geht. Hier ist eine gesetzliche Altersgrenze notwendig, um Jugendliche vor den Folgen eines zu frühen Einstiegs und den damit verbundenen Folgen zu schützen. Der Gesetzgeber sieht hier jedoch vor, dass jedwede Cannabiserfahrung unter 18 Jahren sanktioniert wird. Das ist absolut realitätsfern, da die Probierphase bei Jugendlichen durchschnittlich im 17. Lebensjahr anfängt. Jugendliche zwischen 16 und 18 Jahren nicht Konsum akzeptierend beraten zu können, ist – egal, ob im Rahmen einer staatlichen Drogenberatung oder im familiären Kreis – kontraproduktiv. Insbesondere für Eltern, die selbst Erfahrungen mit Cannabis gesammelt haben, ist es kaum nachvollziehbar, dass es keine ähnliche Regelung wie bei Alkohol gibt. Allerdings ist die Regelung für begleitendes Trinken reformbedürftig, 14 Jahre sind definitiv ein zu früher Zeitpunkt – egal, ob für die ersten Alkohol- oder Cannabiserfahrungen. Grundsätzlich wäre die Regulierung von Cannabis ein guter Anlass, den Jugendschutz beim Alkohol etwas strenger zu handhaben und gleichzeitig die Maßnahmen für Cannabis an diese anzulehnen.

Doch bis dahin darf man dem eigenen Nachwuchs nicht vor dem 18. Geburtstag Konsum akzeptierend beraten. Wer es trotzdem tut, verletzt streng genommen seine elterliche Fürsorgepflicht.

Doch selbst wenn begleitendes Kiffen erlaubt wäre, sollten sich betroffene Eltern fragen, ob Mama und/oder Papa das richtige Setting bieten. Man sollte sich bei der geplanten Heldentat vielleicht auch fragen, ob es wirklich geil gewesen wäre, die ersten Munchies und Lachflashs mit den Eltern durchlebt zu haben? In der Regel gilt: Eltern informieren, konsumiert wird in der Clique. Sobald Kontrolle gegenseitigem Vertrauen weicht, kommt der Rest von selbst. Vorher riskiert man, wahlweise als Kiffer-Held, Depp oder hippiesker Hasch-Verherrlicher dazustehen. Nicht der erste gemeinsame Joint, sondern Cannabis-Kompetenz und Authentizität verschaffen Autorität und die damit verbundene Vorbildfunktion als Elternteil. Authentische Eltern, egal ob sie gar nicht, selten oder regelmäßig kiffen, beeinflussen den Probierdrang viel besser als Taschengeldentzug oder der besorgte Drogenfahnder mit Haschklumpen im Schulunterricht.

Grundsätzlich spiegeln namentlich gekennzeichnete Beiträge nicht immer die Positionen von avaay und/ oder der Sanity Group wider, sondern sind Ausdruck der pluralistischen Perspektiven und Ansätze im Rahmen einer modernen Cannabis-(Drogen)-Politik/Thematik

Neben den unterschiedlichen Cannabinoid-Gehalten sind die einzelnen Cannabissorten auch durch ihr ganz eigenes Aroma identifizierbar. Manche erinnern an Käse, Vanilleeis, Benzin oder ein Blumenbouquet. Verantwortlich dafür sind unter anderem die Terpene.
In unserem Booklet “Die Top 20-Terpene und ihre Effekte” haben wir alles Wissenswerte zum Thema zusammengestellt und erklären, in welchen Sorten man sie findet, wie sie wirken und warum es sie gibt.

 

Schon vor hunderten Jahren wurden aus vielen Pflanzen natürliche Terpene gewonnen, um damit natürliche und teilweise heilende Extrakte herzustellen. Terpene sind auch der Hauptbestandteil von ätherischen Ölen, die bekannterweise auch therapeutisch eingesetzt werden können. Ätherische Öle können sowohl über den Duft eine therapeutische Wirkung entfalten als auch über die Haut aufgenommen werden und somit eine wohltuende Wirkung haben. Sie werden auch als natürliches Konservierungsmittel eingesetzt, um zu verhindern, dass Bakterien sich in Lebensmitteln bilden und vermehren. 

Was sind denn überhaupt Terpene?
Der Begriff Terpen stammt vom lateinischen Wort „Turpentine“, einem flüssigen Extrakt aus Kiefern. Terpene sind die aromatischen Verbindungen, die den charakteristischen Duft aller Pflanzen wie Lavendel, Mango, Hopfen, Nelke, Tanne und auch Cannabis erzeugen. Der Duft der meisten Pflanzen entsteht durch die Kombination ihrer Terpene. 

Terpene sind natürliche chemische Verbindungen, die hauptsächlich in den Blüten von Pflanzen, aber auch in einigen Obstsorten und Insektenarten vorkommen. Sie bestimmen den Duft und Geschmack von Pflanzen und sind im Grunde genommen Duftmoleküle. Terpene sind die größte Unterkategorie der sogenannten “sekundären Pflanzenstoffe”. Die flüchtigen Mono- und Sesquiterpene, die die ätherischen Öle der Pflanzen bilden, sind die Verbindungen, die Cannabis seinen unverwechselbaren Geruch verleihen. Sie sind die häufigsten Arten flüchtiger organischer Verbindungen, die von der Pflanze zur Kommunikation mit ihrer Umgebung abgegeben werden. 

So setzen Pflanzen Terpene zur Kommunikation und zur Abwehr von Fressfeinden ein. Das Terpen Limonen setzt beispielsweise Monoterpene zur Insektenabwehr ein. Menschen haben der Natur diesen Trick abgeschaut, deshalb riecht das Insektenabwehrmittel “Autan® “ auch nach Zitrone. 

Präventive Maßnahme oder Stressreaktion?
Die Terpen-Produktion ist also manchmal eine präventive Maßnahme, um nicht gefressen zu werden und darüber eine Stressreaktion: Auch bei zu wenig Nährstoffen und Wasserverfügbarkeit bildet die Pflanze mehr Terpene als Stressreaktion – vielleicht, um in Dürreperioden besonders hungrige Fressfeinde abzuwehren oder weil die Pflanze nicht zwischen verschiedenen Stressoren unterscheiden kann. Andere Pflanzen bilden Terpene zum Anlocken von Insekten, damit ihre Pollen weitergetragen werden. Die Cannabispflanze ist allerdings ein Windbestäuber. 

Deshalb sind die Cannabisblüten auch grün und nicht bunt. Die Pflanze kann durch lichtsensitive Pigmente sogar erkennen, wann es Tag ist, sodass die Pflanze gezielt tagsüber Terpene in die Luft entlassen kann, um Insekten abzuwehren. Aber nicht nur gegen Fressfeinde sind Terpene gut, sondern auch gegen mikrobiellen Befall (Pilze, Bakterien) oberhalb der Erde, da sie antimikrobiell wirken. Unterhalb der Erde baut die Pflanze sogar Symbiosen mit ihnen auf. Die Pilze und Bakterien geben der Pflanze Nährstoffe aus der Erde, an die sie schwer herankommt. Im Gegenzug gibt die Pflanze ihnen Zucker aus ihren Wurzelsekreten. 

Wirkung auf den Organismus
Die Kombination aus etwa 120 Terpenen ist für das breite Spektrum an Aromen verantwortlich. Diese beeinflussen den sogenannten Entourage-Effekt, sowohl auf psychologischer als auch pharmakologischer Ebene. Wissenschaftliche Studien deuten an, dass Terpene speziell in der Cannabispflanze modulierende Effekte auf die Wirkung von Cannabinoiden haben. Es wird erwartet, dass es in Zukunft immer mehr Ergebnisse geben wird, die zeigen, wie genau sie im Zusammenspiel mit den Cannabinoiden das Endocannabinoid-System stimulieren und somit Prozesse in unseren Körpern beeinflussen.

Jenseits von Terpenen – was definiert das Aroma von Cannabissorten wirklich?
In der sich ständig erweiternden Landschaft der Cannabisforschung hat eine aktuelle Studie mit dem Titel "Minor, Nonterpenoid Volatile Compounds Drive the Aroma Differences of Exotic Cannabis" von Iain W. H. Oswald und Kollegen verblüffende Enthüllungen über die Verbindungen ans Licht gebracht, die für das unterschiedliche Aroma verschiedener Cannabissorten verantwortlich sind. Während Terpene wie Myrcen, Limonen, Pinen und Caryophyllen seit langem für die einzigartigen Düfte der verschiedenen Sorten verantwortlich gemacht werden, wurde im Rahmen der Studie herausgefunden, dass auch andere leicht flüchtige Substanzen, darunter Schwefelverbindungen, eine wichtige Rolle bei der Ausprägung dieser unterschiedlichen Aromen spielen. Diese Enthüllung macht das Verständnis der Cannabisaromen nicht nur komplexer, sondern stellt aufgrund der Flüchtigkeit dieser Verbindungen auch eine Herausforderung dar.

Da die Forschung zu den olfaktorischen Aspekten von Cannabis, Terpenen und anderen duftbildenden Substanzen noch in den Kinderschuhen steckt, ist die Vorfreude auf weitere Erkenntnisse groß. Fortschritte beim Verständnis Duftstoff bildender Verbindungen in Cannabis könnten möglicherweise zu Verfahren oder Anbaumethoden führen, die das Aroma bestimmter Sorten für Patienten verbessern und bewahren.

Immer mehr EU-Länder verabschieden Gesetze zur Verwendung von medizinischem Cannabis. Doch die Gesetzgebung ist sehr uneinheitlich, weshalb Cannabis-Patienten und -Patientinnen, die sich mit ihrer Medizin auf Reisen begeben wollen, einige Dinge beachten müssen.

Bis März 2017 war Cannabis in Deutschland immer noch eine illegale Substanz, die unter Anlage eins des Betäubungsmittelgesetzes fiel und nur mit einer „Ausnahmeerlaubnis zur Selbsttherapie mit Cannabis Flos“ erworben werden durfte. Seit der Gesetzesänderung Anfang März 2017 fällt medizinisches Cannabis unter Anlage drei und wurde dadurch ein „verkehrsfähiges Betäubungsmittel“. Deshalb sind ärztlich verordnete und in der Apotheke erworbene Medizinalhanfblüten verkehrsfähig und dürfen innerhalb des Schengenraums, zu dem auch die Schweiz als einziges Nicht-EU Mitglied gehört, mitgeführt werden.

Aus Ländern wie den Niederlanden, Italien, Tschechien oder Deutschland, wo Medizinalhanfblüten ebenso wie bei uns als verkehrsfähiges Arzneimittel gelten, können Patienten und Patientinnen ihren benötigten 30-Tage-Bedarf ins EU-Ausland mit sich führen. Hierzu müssen sie lediglich eine “Bescheinigung für das Mitführen von Betäubungsmitteln im Rahmen einer ärztlichen Behandlung - Artikel 75 des Schengener Durchführungsabkommens”, den so genannten Schengen-Schein, dabei haben. Das Dokument muss zuvor von der behandelnden Ärztin / dem behandelnden Arzt ausgestellt sowie dem zuständigen Gesundheitsamt beglaubigt werden. Deshalb empfiehlt es sich, sich bereits ein paar Wochen vor Reiseantritt um den Schengen-Schein zu kümmern. 

Das Procedere ist genau wie bei den Fertigpräparaten, wobei auch bei Blüten die Wirkstoffmenge in Milligramm angegeben werden muss. So darf ein:e Patient:in, der/die zum Beispiel drei Gramm “Lemon Sherbet” mit 22 Prozent THC am Tag verschrieben bekommt, 90 Gramm Blüten aus der Apotheke mit sich führen. Zudem muss vermerkt sein, dass die 90 Gramm bei einem THC-Gehalt von 22 Prozent genau 18,48 Gramm THC enthalten. Ansonsten gelten die gleichen Regeln wie für Fertigpräparate. Die Arznei sollte zudem im versiegelten Originalbehälter mitgeführt werden. Verschreibungspflichtige Betäubungsmittel wie Cannabis müssen immer im Handgepäck mitgeführt werden, um einen Zugriff durch Dritte auszuschließen. Auch eine Aufforderung des Bordpersonals, das Handgepäck wegen Platzmangel kurzfristig im Gepäckraum verstauen zu lassen, verstieße gegen die Sorgfaltspflicht von Patienten und Patientinnen.

EU-Recht zufolge ist es also möglich, legal Cannabisblüten in Länder wie Österreich, Belgien oder Frankreich mitzunehmen, in denen diese aufgrund der jeweiligen gesetzlichen Lage selbst als Medizin noch komplett illegal sind. Bislang sind noch keine Fälle bekannt, bei denen Patienten oder Patientinnen bei Vorweisen der entsprechenden Dokumente strafrechtliche Konsequenzen erleiden mussten.

Mit Inkrafttreten des Cannabisgesetzes ändert sich auch der betäubungsmittelrechtliche Status von medizinischen Cannabisprodukten vom Betäubungsmittel zum verschreibungspflichtigen Arzneimittel. Eine aktuelle Nachfrage beim BfarM hat ergeben, dass für die Mitnahme von Cannabis im Schengenraum jedoch weiterhin das gleiche Dokument wie zuvor benötigt wird. Denn beim kleinen und großen Grenzverkehr gilt weiterhin internationales, nicht deutsches Recht.

Medizinisches Cannabis aus der EU ausführen

Jetzt wird es komplizierter. Wer medizinisches Cannabis in ein Nicht-EU Land mitnehmen muss, kann den Export aus Deutschland mit diesem Formular beantragen, das zum Export eines 30-Tage-Bedarfs berechtigt. Parallel dazu muss sich der Patient oder die Patientin eine Import-Genehmigung des Ziellandes besorgen. Das funktioniert meist nur dann, wenn beide Länder über ein medizinisches Cannabisprogramm auf Bundesebene verfügen, da Einreiseformalitäten weltweit von Bundesbehörden kontrolliert werden. Für Jamaika oder Südafrika zum Beispiel ist das kein Problem, aber selbst Staaten mit medizinischem Cannabisgesetz erteilen nicht unbedingt eine Importgenehmigung für medizinisches Cannabis.

So erklärt das kanadische Gesundheitsministerium Health Canada auf Nachfrage, ein Import von medizinischem Cannabis für Patienten und Patientinnen könne nur in Ausnahmefällen wie zum Beispiel Palliativpatienten und -patientinnen genehmigt werden:

Es ist illegal, Cannabis in jeglicher Form, einschließlich Cannabidiol (CBD), über die kanadische Grenze zu bringen, auch wenn es für medizinische Zwecke bestimmt ist. Dies gilt sowohl bei der Einreise als auch bei der Ausreise aus dem Land. Anträge auf eine reisebezogene Ausnahmegenehmigung gemäß dem Cannabisgesetz werden individuell geprüft. Nur unter seltenen und außergewöhnlichen Umständen, z. B. in palliativen Fällen, kann Health Canada eine Ausnahmegenehmigung erteilen, damit ein Reisender Cannabis für den individuellen medizinischen Gebrauch über die internationale Grenze bringen kann.“

Kanada lässt sowohl Einheimischen als auch Besuchern keine Möglichkeit, ihre Cannabis-Therapie auf Auslandsreisen fortzusetzen. Einzig Palliativpatienten und -patientinnen haben Aussicht auf eine Ausnahmegenehmigung zum Import, müssen diese aber lange im Voraus beantragen. Während kanadische Produzenten seit Jahren Exportlizenzen erhalten, um kanadische Blüten in die ganze Welt zu verkaufen, müssen Patienten und Patientinnen auf Reisen in Kanada Cannabis zum Freizeitkonsum kaufen, sich illegal versorgen oder die Therapie abbrechen. Denn auch Cannabis-Rezepte gibt es nur für in Kanada gemeldete Personen. Das führt zu der skurrilen Situation, dass selbst legal in Kanada angebaute Blüten, die von Patienten und Patientinnen in Deutschland legal in der Apotheke erworben werden, beim Re-Import illegal werden.

Ähnlich verhält es sich mit Israel. Trotz Exports nach Deutschland stehen Patienten und Patientinnen, die nach Israel reisen wollen, wie der sprichwörtliche Ochse vor dem Berg. Israels Gesundheitsministerium, das auch über ein medizinisches Cannabisprogramm verfügt, hat sich trotz mehrmaliger schriftlicher und telefonischer Anfragen nicht geäußert und bislang auch keinerlei Informationen zu medizinischem Cannabis auf Reisen veröffentlicht.

Kanada und Israel brauchen eine Lösung für Patienten und Patientinnen

Um sich nicht vorwerfen lassen zu müssen, wirtschaftliche Interessen stünden bei den Internationalen Regelungen zu medizinischem Cannabis über den Belangen und Bedürfnissen von Cannabis-Patienten und -Patientinnen, sollten Länder wie Israel oder Kanada schnell eine rechtsverbindliche Lösung finden, die die Mitnahme legal produzierter und erworbener Medizinalhanfblüten auch über Grenzen hinweg ermöglicht.

Südafrika und Jamaika hingegen sind sehr transparent. Beiden Ländern reicht das weiter oben erwähnte Dokument sowie eine Rezeptkopie der aktuellen Verordnung. Auch lassen beide eine Registrierung von Besucher:innen als Cannabis-Patienten und -Patientinnen vor. Voraussetzung dafür ist natürlich die Vorsprache bei einer Ärztin oder einem Arzt vor Ort.

Es gibt aber auch viele Länder wie zum Beispiel die Türkei oder Ägypten, die weder den Import von Medizinalhanfblüten noch den von Cannabis basierten Fertigarzneimitteln erlauben. Um zu erfahren, welche Regeln für den Import von medizinischem Cannabis gelten, ist es außerhalb des Schengen Raums in den Fällen unbedingt notwendig, mit den zuständigen Gesundheitsbehörden vorab in Kontakt zu treten. Denn, anders als in Europa, wird der Besitz von Cannabis besonders im Nahen und Fernen Osten als schwere Straftat angesehen – mit allen Konsequenzen.

Vorsicht ist trotzdem geboten

Aber auch innerhalb des Schengenraums ist Vorsicht geboten. Das Schengen-Formular existiert lediglich in drei Sprachen (Englisch, Deutsch, Französisch). Sollten Zoll- oder Polizeibeamte den Inhalt und/oder die Beschriftung auf der Arzneimittelverpackung nicht verstehen, wird man bis zur Klärung des Sachverhalts schlimmstenfalls wegen illegalem Cannabisbesitz festgesetzt. Deshalb empfehle ich für Reisen in  Länder mit sehr strenger Cannabis-Gesetzgebung, wie zum Beispiel Griechenland oder Bulgarien, die Mitnahme einer beglaubigten Übersetzung des Mitnahme-Dokuments. Wer ganz sicher gehen möchte, lässt sich die Übersetzung noch einmal vom jeweiligen Konsulat beglaubigen.

Ein Tipp zum Schluss

Auch wenn der Import in Schengen-Länder und einige andere Staaten ohne ein Gesetz für Cannabis als Medizin legal ist, sollten sich Patienten und Patientinnen dort beim Konsum bedeckt halten. Denn weder Polizei noch die Bevölkerung kennen diese Ausnahme für Cannabis-Patienten und Patientinnen aus anderen EU-Ländern im Regelfall. Man geht erst einmal davon aus, dass es sich um Freizeitkonsum und -besitz handelt. Ohne Sprachkenntnisse und einem für Beamte fremdsprachigen Dokument in der Hand, haben Patienten und Patientinnen eine äußerst schlechte Verhandlungsbasis. Das mehrstündige Procedere zur Abklärung des legalen Status kann sehr unangenehm und zeitraubend sein. Deshalb ist es in solchen Ländern ratsam, die Medizin außerhalb der Seh- und Riechweite anderer einzunehmen.

Das neue Cannabisgesetz tritt voraussichtlich im April 2024 in Kraft. Obwohl es im Gesetz maßgeblich um Freizeitkonsum, Eigenanbau sowie Cannabis Clubs geht, wird sich auch für Cannabis-Patient:innen einiges ändern. Denn mit dem Wegfall von Cannabis aus dem Betäubungsmittelgesetz verliert auch medizinisches Cannabis seine Klassifikation als Betäubungsmittel, wodurch nicht nur die Verordnung für alle Seiten etwas unkomplizierter wird.

Cannabis-Rezepte werden dann für Kassenpatient:innen in Form des rosa Standardrezeptes ausgestellt. Für Selbstzahlende werden blaue Privatrezepte ausgestellt.  Die Gültigkeit verlängert sich damit von 7 auf 28 Tage, Privatrezepte für medizinisches Cannabis werden mit Inkrafttreten des Gesetzes sogar drei Monate gültig sein. Allerdings werden Medizinalblüten auch nach Gesetzesreform kein Fertigarzneimittel sein, sondern bleiben zumindest vorerst eine Rezeptursubstanz.

Ein E-Rezept spart Wege

Sobald medizinisches Cannabis kein Betäubungsmittel mehr ist, wird es auch möglich sein, Cannabis-basierte Arzneimittel auf E-Rezept zu erhalten. Mit dem schrittweisen Inkrafttreten der E-Rezept Verordnung seit März 2023 können sich Cannabis-Patientinnen und -Patienten zukünftig viele Wege und somit auch eine Menge Zeit sparen. Denn beim seit Januar 2024 obligatorischen E-Rezept sind sogenannte Wiederholungsrezepte möglich. Die Grundlage hierfür wurde bereits 2020 mit Inkrafttreten Änderungen im  V. Sozialgesetzbuchs aus dem Jahr 2020 geschaffen. Auf dessen Grundlage können Ärztinnen und Ärzte mit Einführung des elektronischen Rezepts Wiederholungsrezepte mit Ausnahme von Betäbungsmittel (BTM)-Rezepten auch elektronisch ausstellen. Patientinnen und Patienten, die regelmäßig die gleichen Wirkstoffe oder Präparate brauchen, dürfen Ärztinnen und  Ärzten bis zu vier sogenannte E-Rezept-Token ausstellen. Das unterteilt eine Mehrfachverordnung in bis zu vier eigenständige Teile. Später einzulösende Teile der Mehrfachverordnung bleiben bis zum auf dem Rezept vermerkten Zeitraum gesperrt. Die eigenständigen Token können innerhalb der Einlösefrist auch in unterschiedlichen Apotheken eingelöst werden.

In der Praxis heißt das, dass sich gut eingestellte, langjährige Cannabis-Patientinnen und -Patienten den monatlichen Weg zur Rezeptabholung mithilfe des E-Rezepts dann sparen und sich alle Beteiligten auf die wirklich wichtigen, persönlichen Termine zur Gesundheitsvorsorge und -erhaltung konzentrieren können. Kassenpatientinnen und -patienten müssen seit dem 01.01.2024 verpflichtend ein E-Rezept ausgestellt bekommen. Wer Papier bevorzugt, kann sich das E-Rezept auch weiterhin wie ein herkömmliches Rezept ausdrucken lassen. Bei Privatrezepten war die technische Umstellung zum 01.01.2024 anscheinend so schwierig, dass es hier eine Übergangsfrist für Ärztinnen und Ärzte und Kassen gibt. Doch auch hier bieten bereits viele Praxen und Kassen die Option des E-Rezepts an.

Auch die Lagerung wird für die Apotheken unkomplizierter, weil medizinische Cannabisprodukte nicht mehr in einem Betäubungsmittelschrank gelagert werden müssen. Die Lagerung als normales Medikament ist im Vergleich zur BTM-Lagerung platz- und kostensparender. Auch der Transport, Versand und die Dokumentation von Medizinalcannabis werden ohne betäubungsmittelrechtliche Bestimmungen unkomplizierter und somit günstiger.

Sind die Präparate untereinander austauschbar?

Außerhalb des BTM-Bereichs bieten Rezepte auch die Möglichkeit einer relativ einfachen „Aut Idem“-Verordnung. Das lateinische "Aut idem" heißt zu Deutsch "oder das Gleiche".

Bisher durften Apotheken bei medizinischem Cannabis nur das Präparat wechseln, wenn das verordnete nicht lieferbar war. Dazu bedarf es einer dokumentierten Rücksprache mit der Ärztin oder dem Arzt und einer nachträglichen Änderung des Rezeptformulars. Bei einer „Aut Idem“-Verordnung außerhalb des BTM-Bereichs kann die Apotheke das Präparat einfacher wechseln. Setzt die Ärztin oder der Arzt hier sein Kreuz, darf die Apotheke statt eines von der Ärztin oder dem Arzt verordneten Arzneimittels ein anderes, wirkstoffgleiches Präparat an die Patienten oder den Patienten abgeben.

Im Falle einer Kassenverordnung muss das gewählte Arzneimittel im Vergleich zum ursprünglich verordneten wirtschaftlich sein, bei Privatpatientinnen und -patienten ist die Wirtschaftlichkeit ohnehin Sache der Patientin oder des Patienten. Denn es gibt für Privatversicherte keine Verpflichtung, eine kostengünstigere Alternative zu wählen. Sie können frei nach den für sie wichtigen Kriterien wie Preis, Handhabbarkeit oder Verträglichkeit entscheiden, welches geeignete Arzneimittel sie nehmen möchten.

Auch die Möglichkeit eines Rezepts für Cannabisblüten lediglich unter Angabe der Gehalte an Δ9-Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD) könnte zukünftig intensiver genutzt werden.

Eine solche Verordnung ist im Prinzip auch jetzt schon möglich, wird aber aufgrund der komplizierten und zeitaufwändigen “Aut-Idem”-Voraussetzungen bei Cannabis selten ausgestellt.

Auf die Frage, ob die Ärzteschaft eher spezifische Sorten oder allgemein Cannabisblüten unter Angabe des THC- und CBD-Gehalts verordnen werden, antwortete der damalige Präsident Andreas Kiefer der Apothekenkammer der Pharmazeutischen Zeitung bereits im März 2017 :

Beides ist möglich. Entscheidend ist, dass die Verordnung eindeutig ist. Der Apotheker muss im Rahmen der Plausibilitätsprüfung verstehen, was gemeint ist. Die Ärzteschaft und die Bundesopiumstelle empfehlen eine Sortenverordnung. Damit sind die Gehalte an Cannabinoiden eindeutig bestimmt.[…]“ [Quelle].

Das war 2017, als es noch sehr wenige Cannabis basierte Medizinalprodukte gab. Angesichts der vielen unterschiedlichen Präparate und Sorten, die heute verordnet werden können, wird die Nutzung dieser Möglichkeit auch für alle Beteiligten immer interessanter. Denn das ermöglicht besonders Patientinnen und Patienten und Apotheken mehr Flexibilität sowie eine umfassendere Beratung vor Ort als derzeit möglich.

Solange Cannabis gesetzlich noch als Betäubungsmittel eingestuft ist, bleibt es jedoch abzuwarten, welche Rolle die Austauschbarkeit bei medizinischem Cannabis künftig spielen wird. Denn hier spielen auch mit den Kassen bereits ausgehandelte, noch zu schließende Rabattverträge sowie der Status von medizinischen Cannabisblüten als Rezeptursubstanz eine entscheidende Rolle. Auf diese beiden Faktoren hat das neue Gesetz keinen messbaren Einfluss.

Auch am Prozedere der Kostenübernahme für medizinisches Cannabis wird das Gesetz nichts ändern. Selbst ohne die Klassifizierung als Betäubungsmittel ist medizinisches Cannabis meist nur eine Option für die gesetzlichen Kassen, wenn schulmedizinisch alle Alternativen, inklusive verschreibungspflichtiger Betäubungsmittel, ausgeschöpft sind.

Dürfen Patienten und Patientinnen auch kiffen und anbauen?

Cannabis-Patientinnen und -Patienten sind aber auch Mitbürger:innen, die, zumindest theoretisch, mit Inkrafttreten des Gesetzes, Cannabis zum Freizeitkonsum für den Eigenbedarf anbauen und besitzen dürfen. Auch eine Clubmitgliedschaft kann nicht aufgrund des Patientinnen- bzw. Patienten-Status verwehrt oder in Frage gestellt werden. Ebenso ist der Konsum von Cannabis zum Freizeitkonsum, zumindest strafrechtlich, auch für Patientinnen und Patienten nicht relevant – aber: Auch wenn Cannabis kein BTM mehr ist, sind Patientinnen und Patienten nach wie vor zur Compliance verpflichtet. Darunter versteht man die Mitarbeit und Kooperation der Patientin bzw. des Patienten bei einer medizinischen Behandlung, zum Beispiel durch Einhalten von Verhaltensregeln wie das genaue Einhalten der ärztlichen Verordnung. Das ist bei zusätzlichem Freizeitkonsum in den meisten Fällen nicht möglich. Denn eine Ärztin oder ein Arzt darf Patientinnen und Patienten nicht empfehlen, medizinisches durch selbst angebautes oder im Club erhaltenes Cannabis zu ersetzen. Das entspricht nicht den strengen medizinischen Standards und darf deshalb auch nicht ersatzweise angewendet werden.

Cannabis-Patientinnen und Patienten brauchen meist höhere Dosen als Menschen, die Cannabis ab und an zur Entspannung konsumieren. Sie könnten bei zusätzlichem oder gar regelmäßigem Freizeitkonsum ihre Toleranz steigern und so die Therapie beeinflussen.

Ob man als Cannabis-Patientin auch mal Cannabis zum Vergnügen rauchen darf und unter welchen Umständen das sein könnte, ist keine Frage des Strafrechts mehr, sondern vielmehr eine des gesunden Menschenverstandes. Schließlich ist es auch kein Verbrechen, entgegen dem ärztlichen Rat Medikamente und Alkohol zu mischen. Trotzdem ist es in den meisten Fällen ungesund und nicht selten sogar lebensgefährlich. Wer es trotzdem macht, ist mit dem Tragen der gesundheitlichen Konsequenzen ohnehin gestraft genug.*

Wie sich ein:e Patient:in in Zukunft gegenüber legalem Cannabis zum Freizeitkonsum verhalten soll, muss schlussendlich die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt entscheiden. Nur Mediziner:innen können anhand von Faktoren wie Therapiedauer, individueller Dosierung, dem Krankheitsbild und anderen Parametern der Cannabis-Therapie entscheiden, ob man als Patient:in auch mal einen dampfen darf oder besser die Finger davon lässt. Ohne eine solche Absprache wäre der Freizeitkonsum von Patientinnen und Patienten zwar keine Straftat, aber ein Hinweis auf mangelnde Compliance. Eine solche Non-Compliance ist für viele Mediziner:innen bereits heute ein guter Grund, eine Therapie zu beenden oder wenigstens infrage zu stellen. Damit es gar nicht so weit kommt, sollte die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt jederzeit wissen, was ihr:e/sein:e Patient:in neben der Therapie einnimmt. Denn ohne Angst vor Strafverfolgung oder Stigmatisierung ist es eben viel einfacher, offen und ehrlich zu bleiben.

* Teile dieses Artikels geben die Meinung des Autoren wieder, und nicht des Unternehmens.

Nach meinem Besuch einer Medical Dispensary sollten ein paar tiefere Einblicke in die Produktion von medizinischem Cannabis am Kap das zweite Highlight meiner Südafrika-Reise im Frühjahr 2024 werden. Vor den Toren der Kapmetropole hat die Firma Chronico ihren Sitz. Als einer der ersten Produzenten des Landes baut Chronico seit 2021 medizinisches Cannabis an. Unser Weg in die heiligen Hallen führt über die Obstfarm, auf der Chronicos Partner, die Familie van der Merwe, seit 1743 Obstanbau betreibt.

Chronico – Medizinisches Cannabis aus Überzeugung

Nach erfolgreicher Passage der Sicherheitsschleuse werden wir vom gesamten Chronico-Team herzlich empfangen. Auf meine Frage, wieso man neben Obst und Gemüse seit 2021 denn auch medizinisches Cannabis anbaue, erklärt mir Chronico-Chef James:

Ich bin selbst von medizinischem Cannabis überzeugt und glaube fest an dessen Vorteile. Vor etwas mehr als drei Jahren haben die Familie van der Merwe und ich uns kennengelernt, um danach den Anbau von medizinischem Cannabis als Zusatzmodul zum bestehenden, landwirtschaftlichen Betrieb aufzubauen. Die Farm hier baut eigentlich Zitrusfrüchte an, die wir Naches nennen. Bei Euch heißen die Mandarinen. Mit Terpenen kennen wir uns also aus.“

Genug geredet. Ich will jetzt selbst sehen, wie hier „Blueberry Haze“, „Slurricane“ oder „Black Cherry Punch“ gedeihen. James bittet seine Chefgärtner Josh und Saul, mit mir eine Runde durch die Anlage zu drehen. Saul stammt aus der Gegend und erklärt mir auf dem Weg in die Facility, dass in der Region ein ähnliches Klima wie in Kalifornien herrsche. Es ähnele dem mediterranen Klima und sei für Cannabis perfekt. Die trockene Luft, viel Sonne und ein fruchtbarer Boden machen die Kapregion ohnehin zu einer der fruchtbarsten Gegenden weltweit.

Zum Anbau von medizinischem Cannabis bedarf es einer soliden Grundlage, die James und Saul im Gewächshaus für Mutterpflanzen und deren Ableger schaffen. Hier erfahre ich auch, dass sowohl unter Kunstlicht als auch unter Sonnenlicht angebaut wird. Das Kunstlicht geht erst dann an, wenn die Sonne nicht mehr genug Licht liefert. Mutterpflanzen und Stecklinge werden jedoch zu 100 Prozent unter Kunstlicht angebaut. In der vegetativen Sektion von Chronico versuchen Seth und Saul, äußere Einflüsse so gering wie möglich zu halten und haben sich deshalb für Kunstlicht entschieden. Chronico verwendet noch kein Saatgut, sondern nutzt Ableger als Grundlage der eigenen Produktion.

„In Zukunft werden wir definitiv auch zertifizierte Samen nutzen, um unsere eigenen Sorten zu entwickeln. Wir werden Phenotypen selektieren und solche Sachen. Aber derzeit, ich nenne es mal in unserer Orientierungsphase, ist es viel einfacher und unkomplizierter, mit Ablegern zu arbeiten. Im Moment haben wir hier eine „Slurricane“ und die „Black Cherry Punch“ und ein paar „Blueberry Haze“. Wir lassen unsere Mutterpflanzen nicht zu alt werden. Hier wird alle paar Monate geräumt und wir fangen von vorne an. Zum besseren Wachstum und zur Schädlings- sowie Pilzprophylaxe nutzen wir eine Kombination aus nützlichen Pilz- und Bakterienkulturen sowie Nützlingen.“

Die Mutterpflanzen und Ableger der Chronico-Strains sind wirklich beeindruckend und bei Patienten und Patientinnen in Deutschland, Australien und Südafrika so begehrt, dass man mit der Produktion kaum hinterherkommt. Deshalb können mir Seth und Saul zum Zeitpunkt meines Besuchs leider keine blühenden Medizinal-Cannabispflanzen zeigen.

FarmaGrowers – Nachhaltiger High Tech Anbau der Extraklasse

Die bekomme ich dafür 1400 Kilometer weiter nördlich beim nächsten Stopp in der Nähe von Johannesburg zu sehen. Hier treffe ich Marc, den Senior-Grower von Farmagrowers.

Vorm Betreten der Produktionsanlage muss ich pusten, damit sich das Drehkreuz öffnet. Mein Begleiter klärt mich auf: „Pusten ist in sensiblen Bereichen jedes südafrikanisches Betriebs Standard.“ Bevor ich mit bestätigten 0,0 Promille endlich zu den Pflanzen darf, versorgt mich Marc eben jenen sterilen Klamotten aus, die bei der Medizinal-Cannabis Produktion weltweit vorgeschrieben sind.

Frisch umgezogen treffen wir dann auf die ersten blühenden Hanfdamen. Das Team ist gerade dabei, Netze über den Köpfen der „Critical Kush“ zu spannen. Denn kurz vor der Ernte werden die Topbuds so schwer und voluminös, dass sie ohne die Netze ins Schwanken geraten oder schlimmstenfalls abknicken könnten. Ein anderer Teil des Teams ist dabei, die großen Blätter von den Stielen zu entfernen. Beim so genannten Ausgeizen werden in der Blütephase immer wieder Blätter und Triebe von der Pflanze entfernt, die nicht optimal mit Licht versorgt werden. So stellt man sicher, dass sich die verbleibenden Triebe optimal entwickeln. „Zudem fördert es die Luftzirkulation sowie ein gleichmäßiges Cannabinoidprofil“ erklärt mir der Senior-Grower der Farmagrower.

Hybrid-Technik – Viel Licht und niedrige Energiekosten

Wir befinden uns hier in einem Hybrid-Gewächshaus, wo sowohl Sonnen- als auch Kunstlicht verwendet wird. Unterschreitet das Sonnenlicht einen gewissen Wert, schalten sich automatisch LED-Lampen mit einer Leistung von 150 Watt/m² hinzu. So kommen beim Anbau der FarmaGrowers-Strains durchschnittlich 25 Prozent Kunstlicht zum Einsatz. Im Sommer ist es weniger, im Winter etwas mehr. Der Strom für die Gewächshäuser wird von einer Solaranlage auf dem Betriebsgelände erzeugt. Das sei, so Marc, nicht nur nachhaltig, sondern senke die Kosten immens. Marc erklärt mir auch, dass der Ertrag und die Qualität sehr stark von der Lichtmenge abhingen und sein Team deshalb eine möglichst hohe, tägliche Lichtmenge für die Pflanzen anstrebe: “Ganz einfach, Cannabis liebt Licht“, erfahre ich auf dem Weg in den nächsten Raum.

Dort angekommen, rieche ich das Terpenprofil der „Royal Gorilla“ sogar durch die obligatorische Schutzmaske. Jede Pflanze hat vier bis sechs Topbuds, die zu 100 Prozent mit Kunstlicht bestrahlt werden. Anders als im vorherigen Raum handelt es sich hier um ein reines Indoor-Gewächshaus. Die Pflanzen blühen seit sechs Wochen und sollen in gut zwei Wochen geerntet werden. Auch in diesem Raum hat das Team im unteren Bereich ordentlich ausgegeizt, damit sich die oberen Medizinalblüten gleichmäßiger entwickeln.

„Wenn die unteren Blüten nicht die gleiche Menge an Licht bekommen wie die oberen, entwickeln sie ein anderes Cannabinoidprofil. Um dieses Problem zu lösen, entfernen wir sie einfach. Wir nutzen die Pflanzenenergie lieber für die großen Topbuds,“ erklärt mein Gegenüber.

Künstliche Cannabis-Intelligenz in der Schaltzentrale

Unsere nächste Station ist der Kontrollraum. Hier werden alle Parameter, die während des Anbauprozesses wichtig sind, eingestellt, geändert und kontrolliert. Ein System steuert die gesamte aeroponische Hardware, also die Bewässerung und die Nährstoffmischung für alle Räume. Ein zweites System steuert Licht, Klima sowie die CO2-Zufuhr in den Gewächshäusern. Von hier aus kann man auch den Zustand jeder einzelnen Pflanze checken und eventuelle Mängel oder Probleme so sehr früh erkennen.

„Ich verbringe hier eine Menge Zeit“, erzählt Marc. Er ist der Guardian Grow Manager, mit dem wir von hier aus einen Blick auf den Blühraum werfen können. “Da werden alle sieben Reihen von Raum eins angezeigt: Der EC- und pH-Wert, die Wassertemperatur, der Wasserdruck, Raumumgebung. Dadurch können wir uns jede Reihe aussuchen, um zu sehen, was dort gerade passiert. Wir können auch noch einen Schritt weiter und in den Wachstumsplan für genau diese Reihe gehen. Wie du siehst, können mit dem Tool sämtliche Zyklen programmiert werden – Woche eins, Woche zwei, Woche drei und so weiter. Wer will, kann es noch weiter aufschlüsseln.“

Ich kann die Begeisterung für das High-Tech Setup meines Tour-Guides förmlich spüren und muss ihn ein wenig drängeln, mir die Pumpstation zu zeigen. Dort angekommen stehen wir vor einer riesigen Umkehrosmose-Anlage, die mit einem Hochdruck-Pumpensystem verbunden ist. Die Umkehrosmose-Anlage entsalzt und filtert das Wasser, damit die Pflanzen mit einer für sie optimalen Nährstoffkombination versorgt werden können. Von hier aus werden zwei Gewächshäuser und zwei Indoor-Hallen mit Wasser und Nährstoffen versorgt. Da Cannabis in seinen unterschiedlichen Entwicklungsstadien verschiedene Nährstoffe benötigt, muss jeder Pflanzraum mit einer individuellen Nährlösung versorgt werden. Das passiert mithilfe von Dosierpumpen und Messgeräten, die vom zuvor besuchten Kontrollraum aus gesteuert werden. Nach unserer kurzen Stippvisite in der Pumpstation bekomme ich zum ersten Mal das fast fertige Produkt zu Gesicht.

Fachkräfte mit Adleraugen und flinken Fingern

Im Trimraum werden die zuvor geernteten Pflanzen von großen Blättern und den Stielen getrennt. Zum Grobschnitt verwenden die Mitarbeiter:innen einen so genannten Trimmer, der dem Team einen Berg Arbeit abnimmt. Ich möchte von Marc wissen, wieso sein Team hier erst maschinell und danach per Hand trimmt.

„Es gibt immer ein paar Blätter, Stiele oder andere Anomalien, die die Maschine dran gelassen hat. Man kann den Trimmer so einstellen, dass er nicht so viel abnimmt und ähnlich wie von Hand trimmt, also weniger rabiat mit den Blüten umgeht. Mit dieser Starthilfe schaffen wir eine ganze Charge, einen ganzen Raum in etwa sechs Stunden.“

Nach dem maschinellen Trim werfen die Teammitglieder einen letzten Blick auf jede einzelne Blüte und arbeiten, falls notwendig, nach. So wird sichergestellt, dass weder Blätter noch andere, unerwünschte Anhaftungen ins Produkt gelangen. Danach werden Trimreste und das Produkt getrennt. Die immer noch potenten Reste werden mithilfe eines Filterbeutels an der Seite aufgefangen. Dann wird das notwendige Extraktions-Zertifikat bei den Behörden beantragt. Sobald das da ist, wird der Trim zur Extraktion an eine andere Firma verschickt.

Die frisch geernteten Medizinalblüten kommen nach dem Trimvorgang in den Trockenraum. Den möchte ich als krönenden Abschluss meiner Tour auf jeden Fall einmal sehen. Marc erklärt mir, dass ich ihn gerne ansehen darf – allerdings nur in leerem Zustand.

„Ich wünschte, ich hätte fertig getrocknete Blüten zum Zeigen. Aber derzeit ist die Nachfrage höher als die Produktion und deshalb hängen gerade keine Pflanzen da.“

Eine schonende Trocknung braucht Zeit

Ich erfahre, dass die frischen Pflanzen ungefähr zwei Wochen bei 16 Grad Raumtemperatur und einer Luftfeuchtigkeit von 55 Prozent trocknen. Die langsame Trocknung bei niedrigen Temperaturen schont die Terpene. Nach dem Trocknen werden die Blüten im Lagerraum in Plastikfässern noch ein bis zwei Wochen gecured – also regelmäßig gelüftet und gewendet. Denn erst während des Curing-Prozesses entfaltet Cannabis das volle Spektrum seiner Terpene und somit den sortentypischen Geschmack und Geruch.

Bevor mein Rundgang zu Ende geht, möchte ich von meinem Gegenüber noch erfahren, wo man lernt, so gut wie er Cannabis anzubauen. Ist ja schließlich selbst in den Ländern, die medizinisches Cannabis produzieren, kein Lehrberuf.

„Ich würde mich einen Autodidakten nennen. Ich baue seit etwa 15 Jahren Cannabis an, die letzten vier im kommerziellen Maßstab. Ich habe mich schon immer für Cannabis interessiert. Es ist eine Pflanze, die sich auf so mannigfaltige Arten selbst ausdrückt. All die verschiedene Terpenprofile, die unterschiedlichen Phänotypen und Pflanzenstrukturen. Man kann behaupten, ich bin etwas besessen vom Cannabisanbau. Das treibt mich an, immer wieder und wieder neue Samen keimen zu lassen, nach neuen Sorten zu suchen und einfach das bestmögliche, medizinische Cannabis anzubauen.“

Marc hat mir heute eine wirklich beachtliche Anlage gezeigt. Sein Wissen und seine Fähigkeiten sind so beeindruckend, dass er mittlerweile ein gefragter Mann ist. Der Flieger, der ihn zum nächsten medizinischen Cannabis-Projekt auf die andere Seite des Globus bringt, geht in zwei Stunden. Ich verabschiede mich von Marc, wünsche ihm einen guten Flug und viel Erfolg bei seinen kommenden Cannabis-Großprojekten.

Wie grün ist die Zukunft Südafrikas?

Ich habe mittlerweile Produktionsanlagen für medizinisches Cannabis auf drei Kontinenten besucht. Südafrikas Branche hat mich hinsichtlich der Professionalität und Qualität der Produkte sehr positiv überrascht. Hier treffen europäische Gründlichkeit und Standards beim Anbau auf die Experimentierfreudigkeit und Sortenvielfalt der kanadischen und der US-Westküste. Das Klima eignet sich zudem perfekt für den Anbau von Cannabis, Solarenergie gibt es im Überfluss und auch Behörden und Regierung sind bereit, den rechtlichen Rahmen im Sinne von Patienten und Patientinnen sowie Produzenten und Produzentinnen zu gestalten. Südafrika ist heute schon ein Hotspot auf der Weltkarte für medizinisches Cannabis.

Nicht einmal 12 Stunden nach der Landung in Kapstadt sitze ich in einem Cannabis Social Club für Patienten und Patientinnen. Sieht aus und klingt, zumindest wenn die Locals ihre Medizin am Tresen ordern, fast wie in Amsterdam. Denn Afrikaans hört sich fast an wie niederländisch und ist am Westkap die meist gesprochene der 11 südafrikanischen Amtssprachen.

Die Sortenauswahl ist immens und dank meiner Dokumente, die meinen Status als Deutscher Cannabis-Patient belegen, darf ich die Medizin hier auch probieren. Bis 2022 gab es in Südafrika auch Cannabis Social Clubs für Erwachsene ohne medizinische Verordnung. Doch seit einem höchstrichterlichen Urteil von 2022 dürfen Cannabis Social Clubs in Südafrika nur Patienten und Patientinnen aufnehmen, die Vereine für Freizeit-Cannaseur:innen wurden über Nacht illegal. Der Hintergrund der bis heute relativ unklaren Rechtslage rund um Cannabis ist ein Urteil des südafrikanischen Verfassungsgerichts aus dem Jahre 2018. Damals wurden Konsum, Anbau und Besitz für den Eigenkonsum über Nacht legal – allerdings ohne definiert zu haben, wie viel Gras man besitzen oder anbauen darf. Die Regierung wurde im Zuge dieses Urteils zudem verpflichtet, Cannabis innerhalb der nächsten Jahre irgendwie zu regulieren. Doch wie fast überall auf der Welt waren die Betroffenen schneller als die Regierung und so schossen nach dem Urteil Cannabis Social Clubs wie Pilze aus dem Boden. Parallel dazu fing die südafrikanische Regierung an, Anbaulizenzen für medizinisches Cannabis zu verteilen, bevor es wirklich legale und regulierte Vertriebswege dafür gab.

Nach dem Club-Verbot von 2022 bekamen die bereits bestehenden Clubs die Möglichkeit, als medizinische Cannabis Clubs weiter und – statt in einer Grauzone – in einem von den Gesundheitsbehörden vorgegebenen Rahmen zu agieren. Denn die südafrikanische Cannabis-Agentur hatte im Rahmen der Lizenzvergabe glatt vergessen, dass medizinisches Cannabis auch Vertriebswege auf nationaler Ebene braucht. Wieso also nicht aus der Not der über Nacht illegalen Clubs eine Tugend machen, indem man mithilfe deren Infrastruktur Patienten und Patientinnen versorgt? Denn das Modell in Südafrika hatte von Anfang an ein grundlegendes Problem.

Die SAHPRA (South African Health Products Regulatory Authority) hatte sich in der Hoffnung auf ausländische Investoren auf große Exportvolumina fokussiert, während Patienten und Patientinnen vor Ort von Anfang an Schwierigkeiten hatten, in Südafrika angebautes, medizinisches Cannabis legal zu beziehen.

Mittlerweile kooperiert die Cannabis Agentur in Südafrika mit zahlreichen medizinischen Cannabis Clubs. Die Clubs helfen den Patienten und Patientinnen bei der Arztsuche und stellen den Kontakt zur SAHPRA her. Der Rest ist meist Formsache, Patienten und Patientinnen können so im Durchschnitt ein bis drei Tage nach der ärztlichen Diagnose Medizinalblüten von dem Club beziehen, der Ihren Antrag bei der SAHPRA eingereicht hat. Klingt unkompliziert und so sollte ein Besuch in einem Club für Cannabis-Patienten und -Patientinnen zeigen, wie diese in Südafrika mit legaler Medizin versorgt werden.

Ein Besuch bei den 420 Doctors

Während ich meine eigene Medizin aus Deutschland dank einer deutschen Export- und einer südafrikanischen Importgenehmigung mitnehmen durfte, hat sich mein Reisebegleiter in der Hoffnung auf südafrikanische Medizin die zeitraubende Antragstellung gespart und auf eine schnelle Lösung vor Ort gesetzt. Die sollte dann in Form der 420 Doctors nicht lange auf sich warten lassen. Nachdem Gründer Leon ursprünglich einen Cannabis-Club betrieben hatte, wurde die Rechtslage 2022 so unsicher, dass er sich zu einer Zusammenarbeit mit der SAHPRA entschloss.

Die Räumlichkeiten des Clubs erinnern an US-amerikanische Abgabestellen. Die Auswahl ist immens, zur Zeit unseres Besuchs im Frühjahr 2023 können Patienten und Patientinnen unter mehr als 20 Sorten mit SAHPRA-Siegel auswählen. Meine Reisebegleitung muss als allererstes einen Antrag ausfüllen, der postwendend an einen von der SAHPRA lizenzierten Arzt geschickt wird.

Moderate Preise – Hohe Qualität

Die Preise für medizinisches Cannabis sind aufgrund des Lohngefüges niedriger als in Europa. Ein Gramm kostet zwischen 2,50 und 10 Euro. Die Qualität ist ähnlich, auch wenn die Produktionsparameter in der EU noch ein wenig strenger sind als am Kap. Doch die südafrikanische Cannabis-Industrie wächst mit ihren Aufgaben und verfügt mittlerweile über internationale Standards. Hinzu kommt das für Cannabis perfekte Klima sowie der kulturelle Aspekt. Anders als Marihuana in der Bundesrepublik oder der DDR war „Dagga“ in Südafrika nie das Hippiekraut einer ungeliebten Randgruppe, sondern seit grauer Vorzeit Volksdroge. Das hat auch das Gericht in seinem wegweisenden Urteil von 2018 anerkannt. Und anders als in den meisten EU-Ländern ist der Konsum von Dagga zu 100 Prozent entkriminalisiert. Dort, wo Zigaretten geraucht werden, darf auch gekifft werden, die Eigenbedarfsregelung ist zudem sehr liberal. Als Eigenbedarf gilt gemeinhin alles, was in eine Schachtel für den persönlichen Bedarf passt – Hauptsache es deutet nichts auf Verkauf und Weitergabe hin. Die Größe der Schachtel spielt da eher eine Nebenrolle, auch eine genaue Definition, wie viel Gramm als Eigenbedarf durchgehen, sucht man vergeblich.

Mein Begleiter wird kurz nach unserem Club-Besuch von der SAHPRA mit der Bitte angeschrieben, der Ärztin seine deutschen Unterlagen zukommen zu lassen. Einen Tag und ein Telefonat später ist mein Reisepartner südafrikanischer Cannabispatient. Beim nächsten Besuch der 420 Doctors entscheidet er sich im Rahmen einer olfaktorischen Prüfung der zahlreichen Medizinalblüten, seine Therapie mit „Apple Jax“ und „Fight Club“ fortzusetzen. 420-Inhaber Leon erklärt mir derweil, dass für Extrakte sogar eine Kostenübernahme durch die Krankenkasse möglich sei. Anders als in Deutschland sei die bei Blüten aber grundsätzlich nicht möglich. Auf meine Frage, wo man denn als Patient ungestört konsumieren könne, lotst mich Club-Gründer Leon einen Raum weiter.

Hier bauen wir gerade unsere Vapo-Lounge. In medizinischen Clubs darf natürlich nicht geraucht, sondern nur vaporisiert werden,“ erklärt mir der cannafine Jungunternehmer aus Kapstadt.

Das Einnehmen der Medizin außerhalb der Clubs ist, anders als in einigen US-Bundesstaaten oder in Spanien, jedoch auch kein Problem. Denn der Konsum von Cannabis, egal ob medizinisch oder zum Spaß, ist dem Rauchen von Kippen rechtlich gleichgestellt. Deshalb findet in Südafrika jede:r einen ruhigen Ort, ungestört seine oder ihre Medizin einzunehmen – unabhängig von der Applikationsform“, berichtet Leon weiter.

Nachdem der wichtigste Punkt nach der Ankunft jetzt abgehakt ist, folgen wir Leons Tipp und machen der Kapstädter Cannabis-Messe unsere Aufwartung. Denn die findet, ohne dass wir es vorher mitbekommen haben, genau an dem Wochenende unseres Besuchs in der Kapregion statt.

Südafrikas Cannabis-Industrie verharrt in den Startlöchern

Zwei Uber später finden wir uns im Sun Convention Center als Gäste der CannabisExpo wieder. Rein äußerlich unterscheidet sich das Event nicht von europäischen Hanfmessen: Speziallampen zum Anbau, Düngerhersteller, Longpaper-Stände und Cannabis-Aktive dominieren die Gänge, aber auch unsere Freunde von den 420 Doctors sind mit einem Stand vertreten. Die Präsenz der SAHPRA überrascht mich dann doch ein wenig – weil sich unsere Cannabis-Agentur wohl kaum auf der Mary-Jane oder der Cannafair blicken lassen würde. Doch der Stand der Cannabis-Agentur auf einem 420-Event steht auch für Aufbruchsstimmung und Pioniergeist, der an jedem einzelnen Stand in Kapstadt zu spüren ist.

Ich treffe Silas Howarth, der die erste Cannabis-Fachmesse Südafrikas auf die Beine gestellt hat, und möchte von ihm mehr über die Entwicklung der südafrikanischen Cannabis-Industrie wissen.

Die erste Expo gab es 2018 in unserer Hauptstadt Pretoria, dann kamen Kapstadt, Johannesburg und Durban. Seitdem gibt es hier (in Südafrika) insgesamt drei Expos im Jahr. Wir hatten ziemliches Glück. Nachdem wir unser erstes Event das ganze Jahr über geplant hatten und im September 2018 das Urteil (red. Anmerkung: zur Verfassungswidrigkeit des Cannabis-Verbots in Südafrika) gesprochen wurde, fand unsere Veranstaltung nur einen Monat später statt. Damit waren wir die erste Veranstaltung dieser Art, die in diesen aufregenden Zeiten stattgefunden hat.

Wenn man in der Öffentlichkeit darauf pochen kann, dass Cannabis legal ist und Leute wirklich auch zuhause rauchen dürfen, fragt sich die Öffentlichkeit auch: „Gibt es da schon eine Branche?“

Und genau zu diesem Zeitpunkt fand die erste Expo statt.“

Silas Howarth im Gespräch mit Michael Knodt

Ich schildere Silas meine Befürchtungen, dass so lockere, aber unklare Regeln zum Freizeitkonsum doch schlussendlich in einer schwer zu kontrollierenden Grauzone enden könnten.

Es besteht bereits eine riesige Grauzone. Das ist einer der Bereiche, in denen die Regierung zu langsam arbeitet, würde ich sagen – wie überall auf der Welt. Es ist schon erstaunlich, dass vor der Expo die Branche selbst gar nicht mitbekommen hat, wie groß sie eigentlich ist. Und deshalb bis dahin auch keine:r die Vorteile und Chancen erkannt hat, die eine neue Branche im Rahmen der Legalisierung ergreifen kann. Die Möglichkeiten für Cannabis-Unternehmen sind riesig, wir bieten hier einen neuen Spielplatz und ein eimaliges Potential für Unternehmen, besonders jetzt in den Anfangsjahren.“

Fachgeschäfte vs. rechtliche Grauzonen

Was Silas mit dieser Grauzone meint, erklärt mir Phil* aus Johannesburg während der obligatorischen Inhalations-Pause im Freien: „Es gibt immer noch Clubs, die ohne Schild und ohne Lizenz arbeiten. Das kostet dann eine Art Extra-Gebühr, über die hier niemand redet. Ich habe auch schon erlebt, dass bei einer Verkehrskontrolle eine 200 g Box als Eigenbedarf durchgeht oder eine große Tüte einfach verschwindet. Du musst wissen, wir sind das Land der Road-Blocks, also Polizeikontrollen wie ihr in Deutschland sagt. Die sind hier, anders als ihr das kennt, eine Säule der Kriminalitätsbekämpfung. Leider weiß hier auch jedes Kind, dass jedwedes Vergehen seinen Preis hat. Den kann man meist direkt und ganz ohne Quittung bezahlen. Und weil Kleinstmengen ja seit 2018 keine Straftat mehr sind, geht es heutzutage eben um mehr als ein paar Gramm. Alle wollen legal verkaufen. Bis das irgendwann möglich ist, erreicht man das Ziel über Umwege. Mehr will ich dazu gar nicht sagen“, erklärt mir mein Gesprächspartner.

Südafrika ist ein Paradebeispiel dafür, was passiert, wenn Cannabis umfassend entkriminalisiert wird, ohne den Handel im gleichen Zuge zu regulieren. Im Prinzip hat das Verfassungsgericht durch sein Urteil 2018 ein rechtlich unscharfes Pendant zu der deutschen Säule eins geschaffen. Zwar wird die medizinische Cannabisbranche trotz einiger Startschwierigkeiten immer professioneller und unterliegt mittlerweile klaren Spielregeln. Doch die riesige Grauzone, in der sich Südafrikas Freizeitkonsumenten und -konsumentinnen tummeln, konnte nur entstehen, weil es de Regierung seit sechs Jahren nicht geschafft hat, Anbau und Verkauf von Freizeit-Cannabis zu regulieren, während Weed im Alltag entkriminalisiert und omnipräsent ist. Deutschland könnte Ähnliches blühen, falls zwischen Säule eins (Entkriminalisierung zum 1.4.24) und Säule zwei (Produktion und Verkauf) zu viel Zeit vergehen sollte.

*Name vom Autor geändert

Seit fast vier Jahren leitet Antonia die Public Affairs-Abteilung der Sanity Group und repräsentiert die Gruppe als Unternehmenssprecherin auf öffentlichen Veranstaltungen wie Messen, Konferenzen und Podiumsdiskussionen. Lest hier ihre Bewertung der gerade laufenden Gesetzesänderungen zur Cannabis-Legalisierung und zum Potential von Cannabis im medizinischen Bereich

“Wir waren noch nie so weit wie jetzt.”

Schon während ihres Studiums (International Business Management und Global Political Economy) in Berlin, Kassel und St. Petersburg, war es ihr wichtig, sich an der Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Politik zu bewegen. Das brachte sie beruflich in den Public Affairs-Bereich. Gleich nach ihrem Studium hat sich Antonia auf die Gesundheitspolitik konzentriert und Kunden aus der pharmazeutischen Industrie, der Biotechnologie und Medizintechnik, aber auch der digitalen Gesundheit zu ihren Public Affairs-Aktivitäten beraten. Und obwohl das noch zu Zeiten war, bevor das Gesetz zum medizinischen Cannabis 2017 in Deutschland eingeführt wurde, hat Antonia schon die ersten Cannabis-Unternehmen aus den USA und Kanada zu ihrem geplanten Markteintritt nach Deutschland beraten.

Von der Beratung wechselte Antonia dann auf die Verbandsseite und arbeitete für den Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) im Bereich industrielle Gesundheitswirtschaft. Als stellvertretende Vorstandsvorsitzende im Bundesverband pharmazeutischer Cannabinoidunternehmen e.V. (BPC) und Mitglied des Vorstandes im europäischen Verband Medicinal Cannabis Europe (MCE) setzt sich Antonia Menzel auch jetzt aktiv für die Interessen der Cannabisindustrie auf nationaler und internationaler Ebene ein.

Antonia, wie bewertest du die geplanten Gesetzesvorhaben zur Legalisierung?

Kurz und knapp: Wir waren noch nie so weit wie jetzt. Das darf man in der ganzen Debatte nicht unter den Tisch fallen lassen, dass wir gerade an einem Punkt sind, wo Deutschland Geschichte schreiben kann und wir jetzt den Umschwung zu einer veränderten Drogenpolitik schaffen können. Die Bestrebungen seitens der Bundesregierung sind da. Was die konkrete Ausgestaltung des Gesetzesentwürfe angeht, die jetzt vorliegen, sehe ich jedoch noch sehr viel Luft nach oben. 

Was meinst du konkret?

Die Tatsache, dass überhaupt darüber diskutiert wird, dass Cannabis kein Betäubungsmittel mehr sein soll, die Tatsache, dass wir darüber reden, dass sich in Zukunft Cannabis- Anbauvereinigungen gründen dürfen, dass man vielleicht auch Pilotprojekte startet – so etwas hat es davor noch nie in Deutschland gegeben. Ich finde, das kann man erst einmal anerkennen. Jetzt geht es darum, wirklich ein Gesetz zu schaffen, das für alle beteiligten Stakeholder eine gute Möglichkeit der Umsetzung bietet. Und da sehe ich noch sehr viele Hürden im aktuellen Gesetzesentwurf. Gleichzeitig bieten sich im parlamentarischen Verfahren auch noch Möglichkeiten, dass man gewisse Dinge positiv verändern kann. 

Was bedeutet das für den Bereich Medizinalcannabis?

Für den Bereich Medizinalcannabis finde ich es auf jeden Fall richtig und wichtig, dass Cannabis aus dem Betäubungsmittelgesetz herausgenommen und reklassifiziert wird. Ich sehe da sehr viele Vorteile sowohl für Patient:innen als auch für die Ärzteschaft: zum Beispiel, dass eine Verschreibung leichter wird, und dass es weniger Sicherungsanforderungen und weniger Dokumentationsaufwand geben wird. Doch es gibt auch noch sehr viel Verbesserungspotential im Medizinalcannabisgesetz, denn es wurden sehr viele Regelungen einfach aus dem Betäubungsmittelgesetz übernommen, was nicht zielführend ist. Da hätte man ein bisschen mehr auf die Patient:innen gucken müssen, was tatsächlich praktikabel im Alltag ist.

Welches Potenzial siehst du beim Einsatz von Medizinalcannabis?

Ich sehe da großes Potenzial, einfach weil Cannabis als Medizin in so vielen Indikationsfeldern eingesetzt werden kann: von der Schmerztherapie über die Palliativmedizin bis hin zum Bereich Frauengesundheit gibt es ganz viele Indikationsfelder, in denen Patient:innen chronisch krank sind und bislang keine wirkliche Aussicht auf Linderung ihrer Leiden hatten oder eben durch eine starke Opiattherapie sehr viele Nebenwirkungen haben. Da hat Cannabis das große Potenzial, eine sehr gute Add-on-Therapie zu sein.
Cannabis ist eine gute Begleittherapie, zum Beispiel insbesondere im Palliativbereich, wo die Menschen nicht mehr viel Zeit haben, ihren Lebensalltag zu gestalten. Solchen Patient:innen ein bisschen Lebensqualität zurückzugeben oder auch anderen chronisch schwerkranken Menschen in ihrem Alltag die Möglichkeit zu geben, wieder partizipieren zu können, wieder arbeiten gehen zu können und überhaupt irgendwie einen normalen Alltag zu leben, motiviert mich jeden Tag aufs Neue in dieser Industrie zu arbeiten.

Gibt es denn schon genug wissenschaftliche Evidenz für die Wirkung von Medizinalcannabis?

Ich würde mir wünschen, dass noch mehr Forschungsvorhaben in verschiedenen Bereichen weiter vorangetrieben werden. Es gibt schon sehr viel Evidenz. Aber es wird eben auch häufig kritisiert, dass die Evidenz noch nicht ausreichend ist. Und je mehr man an Forschung leistet, desto besser wird es auch irgendwann akzeptiert und anerkannt.

Bist du mit der Gesetzgebung zu den Cannabis Social Clubs zufrieden?

Im Bereich Cannabis Clubs halte ich es für einen großen Fehler, dass es keine Cannabis Social Clubs sein sollten, d.h. dass der Konsum komplett ausgeklammert wird. Da muss auf jeden Fall nachgebessert werden. Aber auch an vielen anderen Detailstellen, wie z.B. den Abstandsregelungen, bleibt der Gesetzentwurf weit hinter seinen Erwartungen zurück. Sehr kritisch sehe ich außerdem die Entkoppelung von Säule 1 und Säule 2, sprich, dass man die Pilotprojekte in einem separaten Gesetz behandelt. Man hätte jetzt alles in einem Aufwasch behandeln sollen, weil wir sonst Gefahr laufen, dass die Pilotprojekte in dieser Legislaturperiode vielleicht gar nicht mehr umgesetzt werden.

Hast du Wünsche und Ziele, was den Cannabis-Markt angeht?

Mein Ziel ist es auf jeden Fall, dass wir zum Anfang 2024 ein gutes und final abgestimmtes Cannabis-Gesetz haben werden, sprich, dass Cannabis aus dem Betäubungsmittelgesetz herausgenommen wird, dass wir gute Regelungen zu den Cannabis Social Clubs und zum Eigenanbau haben werden, und Verbesserungen für Patient:innen im Bereich Medizinalcannabis umgesetzt werden. Mittelfristig möchte ich, dass wir dasselbe auch noch in dieser Legislaturperiode für die Pilotprojekte aus der Säule 2 schaffen. 
Vielen Dank für deine Einschätzung, liebe Antonia.

Auch interessant: Lest
hier auf unserem Blog der Sanity Group, was Antonia zur Rolle von Frauen in der Cannabis-Branche sagt

Ein aktuell in der Medizinalcannabis-Welt heiß diskutiertes Thema sind sogenannte “Microseeds”. Sie sind ein unangenehmer Störfaktor, scheinen sich auch immer häufiger in medizinischen Cannabisblüten zu verstecken und sorgen somit für Gesprächsstoff innerhalb der Community. Das Feedback unserer Patienten und Patientinnen ist uns sehr wichtig, daher haben wir uns dem Thema ausführlich gewidmet. Im Folgenden beleuchten wir die unterschiedlichen Aspekte der Microseeds: Was sind Microseeds? Welche Ursachen können bestimmt werden? Und welche Risiken bergen sie eigentlich? Zum Schluss ordnet unser Sommelier Tim Dresemann das brisante Thema noch einmal ein. Seine Sicht als Experte mag vielleicht sogar überraschen.

1. Was sind Microseeds überhaupt?

Selbst bei der Definition, was Microseeds sind, gibt es bisher keine Einigkeit. Generell sind aber unter Microseeds sehr kleine Strukturen zu verstehen, die an unvollständig ausgebildete Samen erinnern. Häufig sind diese Minisamen jedoch deformiert und unterscheiden sich z.B. hinsichtlich der Form, Farbe aber auch anderer Attribute wie beispielsweise der Härte von “echten” Samen.

Abb. 1 Microseeds im Vergleich zu einem ausgereiften Samen (adaptiert nach u/brookie_oftheyr, 22.03.2020) 

Um was es sich genau beim Phänomen der kleinen Samen (Microseeds) im medizinischen Cannabis handelt, ist bis heute noch nicht eindeutig geklärt. Zu den gängigsten Theorien gehören:

  1. (Unausgereifte) Samen nach (Selbst-)Bestäubung:
    Eine versehentliche (Selbst-)Bestäubung durch männliche Pflanzen oder Pflanzen mit zweigeschlechtlichen Blüten mit anschließender Samenproduktion erscheint aufgrund der kontrollierten Anbaubedingungen in Kombination mit der Häufigkeit des Auftretens von Microseeds als eher unwahrscheinlich. Zudem sind auf diese Weise entstandene “echte” Samen zum Zeitpunkt der Ernte im Regelfall bereits ausgereift oder zumindest aufgrund der Struktur und Färbung eindeutig als Samen zu identifizieren.
  1. Samen durch Apomixis:
    Unter Apomixis ist die ungeschlechtliche Fortpflanzung zu verstehen, bei der es ohne vorhergehende Befruchtung zur Samenbildung kommt (Agamospermie). Die so entstandenen Nachkommen sind daher mit der “Mutterpflanze” genetisch identisch.1 Bei dieser Form der Fortpflanzung kann es sich um eine Art "Notfallprogramm" handeln,  das aufgrund der nicht stattfindenden Befruchtung einsetzt. Dennoch sollten sich aus dieser Art der Fortpflanzung prinzipiell “normale” Samen entwickeln können. Möglicherweise bleiben die so entstandenen Samen jedoch aufgrund genetischer (zuchtbedingter) Faktoren unterentwickelt.
  1. Übermäßig entwickelte Ovuli (Ovulum/Eizelle = Samenanlage)
    Bei einigen Cannabissorten scheinen die Samenanlagen generell stärker ausgeprägt bzw. größer als bei anderen Sorten zu sein. Darüber hinaus schwellen diese im Verlauf der Blüte häufig an und ähneln damit befruchteten Ovulen. Diese “aufgeblähten” Ovulen sind zu Beginn grün und wechseln dann sehr schnell zu einem grauen oder schwarzen Farbton. Der Farbumschlag geht zudem mit einem Schrumpfen der Samenanlagen einher. Ob das Auftreten der vergrößerten Ovuli mit der Feminisierung zusammenhängt, ist jedoch umstritten.2,3

2. Mögliche Ursachen für die Entstehung von Microseeds in medizinischem Cannabis

Um welche Strukturen es sich dabei genau handelt und ob es sich bei Microseeds eventuell auch – je nach Fall – um eine oder gar verschiedene der oben aufgeführten Strukturen handelt, ist aktuell ebenso unklar wie die Ursache der Entstehung. Aktuell werden zwei mögliche Ursachen diskutiert:

Schlussfolgerung zur Entstehung von Microseeds
Zusammengefasst sind Microseeds also allgemein kleine, samenähnliche Strukturen in den Cannabisblüten, die unabhängig von Kultivar oder Anbaubedingungen auftreten können. Derzeit gelten als wahrscheinlichste Ursache zuchtbedingte genetische Faktoren.

3. Welche Informationen gibt es zu möglichen Gesundheitsrisiken durch die Inhalation von Cannabisblüten mit Microseeds?

Neben einem schlechten Geschmack durch verbrannte Microseeds und einem unangenehmen kratzigen Charakter des Rauchs, manchmal auch in Verbindung mit Kopfschmerzen oder Übelkeit, wird vor allem in Foren oder Beiträgen im Internet immer wieder davon berichtet, dass das Inhalieren von Cannabisblüten mit Microseeds besonders gefährlich sei.
Es wird vermutet, dass dies an Pflanzenölen liegen könnte, die in den Samen enthalten sind. Durch die hohen Temperaturen beim Rauchen können Bestandteile dieser Öle in schädliche Verbindungen umgewandelt werden, die krebserregend sein können.6 Die zitierten Warnungen von beispielsweise einem “Hanfkoch” oder einem erfahrenen Cannabisarzt beziehen sich jedoch vor allem auf das übermäßige Erhitzen bei der Herstellung von Hanfbutter bzw. dem Inhalieren von Ölen wie z.B. Extrakten und werden daher in einen falschen Zusammenhang gebracht.6 Da hierbei jedoch ganz andere Mengen an Pflanzenölen (verwendet zur standardisierten Einstellung der Cannabisextrakte) inhaliert werden, ist eine direkte Übertragbarkeit des Risikos auf die Inhalation von Microseeds nicht gegeben. Zudem ist bisher unklar, welche Stoffe und welche Mengen dieser Stoffe die Microseeds tatsächlich enthalten. Wissenschaftliche Untersuchungen hierzu gibt es derzeit nicht.Ein weiterer Aspekt, der in Bezug auf Microseeds genannt wird, ist, dass sie Stoffe enthalten, die bei der Inhalation in Blausäure umgewandelt werden würden.7 Aber auch hierzu lassen sich keine Studien finden. Vermutlich wird hier die Tatsache, dass z.B. Leinsamen, kleinere und zudem unbedenkliche Mengen an Blausäure enthalten, auf andere Pflanzenöle wie beispielsweise Hanfsamenöl übertragen.8

Das Rauchen von Tabak und Cannabisblüten
Dennoch entstehen natürlich sowohl beim Rauchen von Tabak als auch beim Rauchen von Cannabisblüten viele potentiell schädliche Verbindungen, die bei einem langfristigen Konsum zu gesundheitlichen Schäden führen können.

Neben der Freisetzung von Cannabinoiden entstehen beim Rauchen von Cannabis auch unzählige pyrogene Verbindungen, darunter Karzinogene, Mutagene und Teratogene, die potenziell gesundheitsschädlich sind. Eine Studie von Graves et al. zufolge haben Tabakrauch und Cannabisrauch Verbindungen gemeinsam, von denen 69 toxisch sind.9,10 Laut einer Übersichtsarbeit über die Auswirkungen von inhalativen Suchtmitteln sind derzeit eindeutige Schlussfolgerungen für langfristige Folgen von Cannabiskonsum auf Lunge und Atemwege jedoch noch nicht möglich. Dies liegt vor allem daran, dass in den meisten Studien nicht zwischen den überlappenden Effekten des Tabak- und des Cannabiskonsums differenziert wurde.11 Die Karzinogene und respiratorischen Toxine in Cannabis- und Tabakrauch sind zwar ähnlich, dennoch scheinen sich die Folgen des Cannabisrauchens von denen des Tabakrauchens zu unterscheiden.12 So gilt die Entwicklung einer chronischen Bronchitis durch anhaltendes Rauchen von Cannabis mittlerweile zwar als fast gesichert, hinreichende Beweise, dass Cannabis COPD verursacht, fehlen aber. Auch allergische Reaktionen einschließlich Asthma sowie Assoziationen mit Lungenemphysem, Lungenkrebs und Pneumonien sind möglich, aber nicht eindeutig belegt.13Zudem wurde in einigen Kasuistiken über Pneumothoraces, Pneumomediastinum sowie grob bullöse Lungenerkrankungen im Zusammenhang mit inhalativen Cannabiskonsum berichtet, jedoch auch hier ist der Zusammenhang nicht eindeutig bewiesen.14

Das Vaporisieren von Cannabisblüten
Nicht zuletzt aus diesen Gründen setzt sich in den letzten Jahren die inhalative Anwendung mittels Vaporisation gegenüber dem Rauchen von Cannabisblüten weltweit immer mehr durch. Das Verdampfen mittels Vaporisatoren, die als Medizinprodukt zugelassen sind, gilt in Deutschland längst als die etablierte medizinische Anwendungsform, wenn eine inhalative Cannabistherapie angezeigt ist. Bei der Vaporisation mittels solcher Geräte wird das Medizinalcannabis auf 180 – 210 °C erhitzt. Flüchtige Inhaltsstoffe, zu denen auch Cannabinoide und Terpene gehören, werden bei diesen Temperaturen in Dampf überführt, ohne dass das Pflanzenmaterial verbrannt wird. Rauch entsteht bei dieser Anwendungsmethode nicht. Es wird angenommen, dass durch die niedrigeren Temperaturen und die verbrennungsfreie Erhitzung weniger gesundheitsschädliche Stoffe als beim Rauchen entstehen.15 Zum Vaporisieren von Medizinalcannabis, das Microseeds aufweist, gibt es jedoch wie auch zum Rauchen von Microseed-haltigen Cannabisblüten bisher noch keine Studien.

Schlussfolgerung zu möglichen Gesundheitsrisiken durch die Inhalation von Cannabisblüten mit Microseeds
Beim Rauchen von Cannabisblüten entstehen ähnlich wie beim Rauchen von Tabak verschiedene Verbindungen, die aufgrund ihrer kanzerogenen, mutagenen oder teratogenen Eigenschaften gesundheitsschädlich sind. Nach derzeitigem Kenntnisstand gibt es jedoch keine Hinweise darauf, dass die Inhalation – ob durch das Rauchen oder das Vaporisieren – von Cannabisblüten, die Microseeds enthalten, mit einem gesteigerten Risiko für gesundheitsschädliche Effekte einhergeht.

4. Was können wir tun, um Microseeds in den Produkten zu verhindern? Ein Kommentar von Sommelier Tim Dresemann

Microseeds sind im heutigen medizinischen Cannabismarkt ein unerwünschtes und weit verbreitetes Phänomen. Während die genaue Ursache noch umstritten ist (s.o.), lässt sich mittlerweile mit hoher Wahrscheinlichkeit sagen, dass es ein genetisch verankertes Problem ist; daraus folgt die Annahme, dass sowohl Ursache als auch Lösung vor allem in der Zucht zu suchen sind. Demnach ist (leider) auch ein Quick Fix nicht zu erwarten.

Selbst wenn es gelingen könnte, durch z.B. weniger Stress im Anbau, die Prävalenz von Microseeds etwas zu reduzieren – eine wirkliche Lösung wäre das nicht, das Problem würde vermutlich auch weiterhin immer wieder auftreten..Die Hersteller (also auch wir als avaay Medical) sind sich dessen bewusst und reden auch mit den Produzenten. Das Problem wird aber aufgrund der bereits genannten wahrscheinlichen Ursachen nicht leicht und auch nicht innerhalb weniger Chargen abzustellen sein. Meine Vermutung ist, dass es sich innerhalb des Life-Cycles eines bereits angemeldeten Produkts überhaupt nicht abstellen lässt, da einen Austausch der Genetik und somit auch einen neuen Anmeldungs- und Registrierungsprozess erforderlich machen würde.

Alles eine Sache der Perspektive?
Aber auch die Wahrnehmung ist hier ein wichtiger Faktor: Während man Nordamerikaner:innen (USA/Kanada) oft noch ausführlich beschreiben muss, wovon hier eigentlich die Rede ist, ist die deutsche Cannabis-Community mittlerweile voll auf das Thema eingestimmt. Dass dann wiederum auch mehr gefunden wird (weil mehr gesucht wird), ist zu erwarten (mehr dazu hier).

Selbst Nordamerikaner:innen, die darauf aufmerksam gemacht wurden, sehen das nicht zwingend als Problem: "As long as it's not scratchy.”

Auf der einen Seite wird sich nun (zu Recht) in der deutschen Community über mangelhafte züchterische Arbeit (bspw. Microseeds) beschwert – auf der anderen Seite gibt es einen weitgehend unreflektierten Wunsch danach, möglichst jede Woche einen "neuen" Strain auf dem Markt zu entdecken. Die Industrie versucht weiterhin diesem Wunsch nachzukommen – das kann allerdings nur zulasten der genetischen Stabilität funktionieren und lässt sich mit den Grundsätzen guter züchterischer Praxis schlichtweg nicht vereinbaren.

Dass der Einfluss auf die Konsumerqualität (also NICHT der pharmazeutischen Qualität) je nach Ausmaß erheblich negativ sein kann, sollte mittlerweile klar sein. Allerdings nehme ich mittlerweile auch viel Verständnis für das Thema wahr. Auch das Bewusstsein, dass so gut wie alle Produkte von ziemlich allen Herstellern zumindest teilweise betroffen sind, ist bei vielen schon vorhanden.

5. Schlusswort

Uns als avaay liegt eine angenehme Konsumerfahrung von Medizinalcannabis am Herzen, wobei die Gesundheit unserer Patienten und Patientinnen natürlich im Fokus steht. Aus diesem Grund behalten wir auch weiterhin das Thema “Microseeds” im Blick und optimieren darüber hinaus kontinuierlich unser Portfolio und unsere Lieferkette.

6. Quellenverzeichnis

  1. Winkler, Hans Karl Albert. Parthenogenesis und Apogamie im Pflanzenreiche. G. Fischer, 1908.
  2. https://www.icmag.com/threads/swollen-calyx-or-hermed.233160/
  3. https://www.rollitup.org/t/large-ovules-that-crackle-never-ending-mystery.985072/ 
  4. Punja, Zamir K., and Janesse E. Holmes. "Hermaphroditism in marijuana (Cannabis sativa L.) inflorescences–impact on floral morphology, seed formation, progeny sex ratios, and genetic variation." Frontiers in Plant Science (2020): 718.
  5. Clarke, Robert C., and Mark D. Merlin. "Cannabis domestication, breeding history, present-day genetic diversity, and future prospects." Critical reviews in plant sciences 35.5-6 (2016): 293-327.
  6. https://www.hanf-magazin.com/medizin/erfahrungsberichte-hanfmedizin/apotheken-marihuana-mit-miniseeds/
  7. Gerüchteküche: Giftige Blausäure in Cannabis-Samen?
  8. Schulz, V., A. Löffler, and T. Gheorghiu. "Resorption of hydrocyanic acid from linseed." Leber, Magen, Darm 13.1 (1983): 10-14.
  9. Graves, Brian M., et al. "Comprehensive characterization of mainstream marijuana and tobacco smoke." Scientific reports 10.1 (2020): 7160.
  10. Moir, David, et al. "A comparison of mainstream and sidestream marijuana and tobacco cigarette smoke produced under two machine smoking conditions." Chemical research in toxicology 21.2 (2008): 494-502.
  11. Bauer-Kemény, Claudia, and Michael Kreuter. "Inhalative Suchtmittel–eine Herausforderung für die Lunge." Der Pneumologe 19.1 (2022): 49-59.
  12. Tashkin, Donald P., and Michael D. Roth. "Pulmonary effects of inhaled cannabis smoke." The American journal of drug and alcohol abuse 45.6 (2019): 596-609. 
  13. Gracie, Kathryn, and Robert J. Hancox. "Cannabis use disorder and the lungs." Addiction 116.1 (2021): 182-190.
  14. Kreuter, M., et al. "Cannabis--Position Paper of the German Respiratory Society (DGP)." Pneumologie (Stuttgart, Germany) 70.2 (2016): 87-97.
  15. Ziegler, Andreas Siegfried, and Philipp Böhmer. Cannabis: ein Handbuch für Wissenschaft und Praxis. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, 2022.

Die Deutsche Angst vor innovativer Cannabis-Kultur

Cannabis soll in zwei Schritten legalisiert werden. Der erste, von der Ampel-Koalition „Säule eins“ genannt, sieht vor, Erwachsenen ab 2024 den Besitz von bis zu 25 Gramm Cannabis, den Anbau von drei Pflanzen und die Mitgliedschaft in einem Cannabis Club zu gestatten. So ziemlich alles andere, darunter auch eine versteuerte Abgabe über Fachgeschäfte, bleibt bis zur Verabschiedung von Säule zwei illegal. Wann und ob Säule zwei das Parlament passiert, ist noch völlig unklar.

Anders als zum Beispiel in Uruguay oder Spanien sollen die Clubs in Deutschland nicht „social“ sein, also beim soziokulturellen Aspekt im Umgang mit Cannabis außen vor bleiben. Wer mit Freund:innen und Bekannten kiffen will oder einfach nur Infos über Cannabis austauschen möchte, den Umgang mit der Substanz erlernen oder mehr über den Anbau erfahren möchte, soll das, sollte das Gesetz wie derzeit geplant umgesetzt werden, weiterhin im Verborgenen tun.


Alle Vereine sind gesellig, nur Cannabis-Clubs nicht?

Im Vereinsrecht nennt sich der soziokulturelle Aspekt des Vereinslebens „Geselligkeit“. Die ist eine Säule des hiesigen Vereinslebens und soll Cannasseur:innen vorenthalten bleiben. In Spanien, wo ab 2007 die ersten Clubs weltweit entstanden, ist genau dieser soziale Aspekt die rechtliche Grundlage für die Existenz von Cannabis Social Clubs. Nicht die Abgabe gegen einen Unkostenbeitrag steht im Mittelpunkt des Vereinslebens, sondern Anbau und Konsum ohne kommerziellen Hintergrund sowie die Schaffung einer ganzheitlichen Cannabiskultur. Dazu veranstalten die Vereine Anbau-, Präventions- oder auch Extraktions-Seminare und ermöglichen ihren Mitgliedern ganz nebenbei, das selbst ergärtnerte Kraut in den Vereinsräumen zu beziehen und danach gemeinsam zu genießen.

So muss niemand mehr mit seinen Freund:innen im Park oder vor der Kneipe kiffen. Der soziale Aspekt fördert den öffentlichen Konsum nicht zwangsläufig, im Gegenteil. Im Cannabis-Club-Paradies Barcelona wird der öffentliche Konsum von Cannabis mit hohen, dreistelligen Geldbußen geahndet – weil man ja auch in einem Club hätte rauchen oder vaporisieren können. Die Clubs selbst dürfen als solche von außen nicht erkennbar sein. Zudem sind die Betreibenden verpflichtet, mithilfe von professionellen Abluftsystemen die Luft in und besonders vor den Clubräumen rein zu halten. So gut getarnt erfüllen diese nicht sicht- und riechbaren Clubs alle Voraussetzungen für einen funktionierenden Jugendschutz besser als jede Abstandsregel.

Man stelle sich einmal vor, ein Hobbybrauer-Verein dürfe sein Bier brauen und an die Mitglieder verkaufen, aber nicht gemeinsam verkosten. Da würde jedes deutsche Amtsgericht den Vereinszweck infrage stellen. Cannabis-Clubs hingegen sollen nicht wie klassische Vereine, sondern als reine Cannabis-Abgabevereinen agieren.

Fehlende Fachgeschäfte erschweren die geplante Rolle der Clubs

Der DHV Vorsitzende Georg Wurth hat es mit den Worten „Nicht jede:r, die:der Joghurt mag, will eine Kuh“, auf einen einfachen Nenner gebracht.

Cannabis (Social) Clubs sind eine Nische für Cannabis-Enthuisiast:innen und dem Ansturm, der sich schon jetzt abzeichnet, als unkommerzielle Organisation gar nicht gewachsen. Wer nur sporadisch kifft oder seinen Jahresbedarf mit drei Balkon-Pflanzen nicht decken kann, möchte nicht unbedingt an einem Cannabis-Vereinsleben teilnehmen müssen, um Samstag Abend einen Joint vor dem Kinogang zu rauchen.

Die erste Phase der Legalisierung berücksichtigt demnach lediglich Enthusiast:innen, die ihre Freizeit dem Anbau und/oder dem Vereinsleben widmen. Wer schnell und unkompliziert mal einen Joint rauchen möchte, hat weiterhin ein Problem. Gleichzeitig ist es Privatpersonen gestattet, bis zu 25 g Cannabis und drei Pflanzen zu besitzen. Da es zu diesem Zeitpunkt noch keine Fachgeschäfte geben wird, werden die, die weder Clubmitglied sein noch Weed anbauen möchten, ihr Cannabis, wie all die Jahre zuvor, illegal beziehen. Die, die es verkaufen, werden aber noch schwerer zu fassen sein als zu Zeiten des Verbots. Denn weder der Besitz von bis zu 25 g noch der Geruch nach Cannabis dürfen dann als Rechtfertigung repressiver Maßnahmen wie Hausdurchsuchungen oder Personenkontrollen dienen. Zudem sinkt die Hemmschwelle der Konsumierenden, weil ihr Handeln nicht mehr strafbar ist. Wenn der Gesetzgeber denkt, die entstehende Lücke werde nicht ausgenutzt, hilft ein Blick nach Nevada. Erst als Dealer offen mit gefüllten Grasbeuteln vor den Casinos standen, gab es Lizenzen für Shops im Touristenviertel “The Strip”. Bis dahin dachte man ernsthaft, man könne Cannabis nur für Einheimische legalisieren, indem man in der Nähe von touristischen Hotspots keine Fachgeschäfte zulässt. Das ist ebenso utopisch wie die Vorstellung, man könne den Schwarzmarkt ganz ohne Fachgeschäfte kleinkriegen.

Clubs für alle?
Natürlich bestünde die Möglichkeit, dass Clubs auch Menschen mitversorgen, die bei freier Wahl lieber ins Fachgeschäft gehen würden. Das wiederum gefährdet allein aufgrund der Menge den unkommerziellen Charakter der Clubs, der von der Regierung ausdrücklich angestrebt wird und der das Vereinsleben in Deutschland auch grundsätzlich auszeichnet. Wenn alle fünf bis acht Millionen Kiffer:innen ihr Weed legal über einen Verein bezögen, bräuchten wir über kurz oder lang 10.000 + x große (500 Mitglieder) Cannabis Clubs. Clubs in Spanien sollten gemäß eines Urteils des Obersten Gerichts übrigens nicht mehr als 300 Mitglieder haben, um eben diesen unkommerziellen Charakter zu bewahren.

Egal, von welcher Seite aus man es betrachtet: ohne zeitgleich oder wenigstens zeitnah Fachgeschäft-Projekte zu ermöglichen, scheint die Regierung den Missbrauch der grundsätzlich überfälligen Entkriminalisierung wissend in Kauf zu nehmen. Je länger diese tolerierte Grauzone besteht, umso stabilere Strukturen bilden sich in ihr aus. Als bestes Beispiel dienen hier die Coffeeshops in den Niederlanden oder auch die Vergabe der Cannabis Social Club-Lizenzen in und um Barcelona. Besonders in den Niederlanden haben sich auf dem Cannabis-Schwarzmarkt hochkriminelle Strukturen etabliert, weil Handel und Weitergabe von Kleinstmengen seit 50 Jahren entkriminalisiert, Produktion und Großhandel aber illegal sind und seit einigen Jahren oft sogar härter als hierzulande bestraft werden.

Deutschland plant zwar keine Coffeeshops, aber im Grunde genommen ein ähnliches Konstrukt: Im Kleinen ist es legal, aber der Großhandel bleibt tabu. Je länger dieser Zustand bestehen bleibt, desto schwerer wird es, den jetzt schon unüberschaubaren Schwarzmarkt später wirklich durch eine kontrollierte Lieferkette zu ersetzen.


Ein Blick über den Tellerrand hilft
Anders als der Gesetzentwurf in Deutschland wurde der Schweizer Experimentierartikel, der als Grundlage für die dortigen Cannabis-Pilotversuche dient, nicht mit der heißen Nadel gestrickt. Hier hat sich das Bundesamt für Gesundheit viel Zeit genommen und zwei grundlegende Fehler vermieden:

- Cannabis SOCIAL Clubs dürfen dort auch soziokulturelle Aufgaben wahrnehmen

- Neben Clubs dürfen auch Fachgeschäfte und Apotheken Cannabis im Rahmen der Pilotprojekte abgeben.

So können unsere Nachbarn nach der fünfjährigen Pilotphase entscheiden, welches Abgabe-Modell funktioniert. Konsumierende haben zudem einen Ort, sich abseits öffentlicher Räume oder Grünflächen zu treffen und auszutauschen. Wissenschaftliche Forschung zum Umgang mit Weed wird dort in Form eines Arbeitsmoduls zur Konsumkompetenz erst durch die Social-Club-Mitglieder möglich. In Deutschland will man wissenschaftliche Erkenntnisse gewinnen, indem man den Clubs eine gesellschaftlich notwendige Funktion nicht zutraut und sie zu reinen Cannabis-Anbau- und Abgabestellen degradiert. Genau diese Art der Zwangs-Kommerzialisierung lädt zum Missbrauch ein. Hier sind nicht die Niederlande, sondern die Clubs in Barcelona, von denen ein Großteil wie Coffeeshops agiert, als Beispiel für die Fehlinterpretation des ursprünglichen Club-Gedankens anzuführen. Diese Art von Missbrauch der lokalen Cannabis-Gesetze wiederum ist jedoch nicht Schuld der Betreiber, sondern das Ergebnis einer 15 Jahre geduldeten Grauzone, die aufgrund des rechtlichen Status von Cannabis in Spanien immer noch keine Fachgeschäfte zulässt.

In weniger liberalen Landstrichen von Spanien werden Clubs übrigens bis heute strenger von den Behörden und der Polizei kontrolliert als an den cannafinen Hotspots wie Katalonien oder den Kanaren. So gibt es in Madrid oder Valencia zwar auch Cannabis-Clubs, die Touristen jedoch verschlossen bleiben. Solche Clubs haben selten mehr als 300 Mitglieder und dienen der lokalen Bevölkerung als Weed-Quelle für den Feierabend-Joint ohne weitere Verpflichtungen. Wer Interesse hat, kann – muss aber nicht – beim Anbau helfen.

In den großen Clubs der katalanischen Metropole bauen die Mitglieder schon seit 2019 gar nicht mehr selbst an, sondern lassen ihr Gras von professionellen Gärtner:innen produzieren. Das entspricht eigentlich nicht den Vorgaben für Social Clubs, wird aber von der Lokalregierung toleriert. Ohnehin hat man in Barcelona das Gefühl, die lokale Cannabis-Politik habe auch etwas mit dem Konflikt um die katalanische Unabhängigkeit zu tun. Denn die Zentralregierung hat dort ganz andere Probleme als ein paar Social Clubs, die nicht nach den Vorstellungen und Gesetzen der Zentralregierung in Madrid, sondern gemäß eines Beschlusses der Lokalregierung wie Shops agieren.

Clubs, die, wie von der Regierung in Spanien oder bald auch in Deutschland gewünscht, unkommerziell agieren, dürfen aber über eines nicht hinwegtäuschen: Der Schwarzmarkt blüht auch in Spanien weiter im Verborgenen. Nur in Barcelona, wo Clubs aufgrund der lokalen Gesetzgebung im Prinzip wie 18+ Fachgeschäfte agieren können, sind die Dealer, die einst die Ramblas bevölkerten, ganz verschwunden. Im Rest des Landes existieren Cannabis-Clubs und Schwarzmarkt nebeneinander her. Während die vielen Gelegenheitskiffer:innen und Tourist:innen in einer durchschnittlichen spanischen Stadt auf dem omnipräsenten Schwarzmarkt kaufen, treffen sich eingefleischte Cannasseur:innen und mangels Gesetz auch Patient:innen in den örtlichen Cannabis-Clubs.

Der perfekte Club…
… kann eigentlich nur parallel zu Cannabis-Fachgeschäften für Erwachsene existieren. Nur so ist eine Kommerzialisierung, ob von den Betreibenden gewollt oder nicht, aus oben angeführten Gründen vermeidbar. Außerdem sollte er andere Aufgaben, als dem Gesetzgeber derzeit vorschweben, erfüllen:

- Der Anbau sollte erfahrenen Mitgliedern überlassen werden, die dazu auch Lust und Zeit haben und nicht, wie aktuell geplant, obligatorisch für alle sein. Ähnlich wie in anderen Vereinen mit einer Verpflichtung zur Mitarbeit, könnten solche Pflichten auch durch andere Tätigkeiten für den Verein oder eine finanzielle Kompensation beglichen werden.

- Um das Vereinsleben auszugestalten, sollte der Verein Aufklärungsarbeit zu Cannabis leisten. Hier stehen Konsumkompetenz sowie das Vermitteln schadstoffarmer Konsumformen im Fokus. Ähnlich wie ein Obst- und Gartenbauverein kann auch Wissen über den Anbau, Ernte und Veredelung in Form von theoretischen und praktischen Fortbildungsveranstaltungen stattfinden. Besonders die Produktveredelung, also im Falle von Cannabis die Extraktion, sollte nicht grundsätzlich verboten, sondern, ähnlich wie die Herstellung von Obstwein im Obst- und Gartenbauverein, Teil der Club-Kultur sein. Dabei könnte Colorado als Beispiel dienen. Dort ist es Privatpersonen gestattet, Extrakte mit Hilfe nicht explosiver Lösungsmittel wie Alkohol oder einer mechanischen Presse zu extrahieren. Gefährlichere Extraktionsmethoden mit explosiven Lösungsmitteln, wie zum Beispiel Butan, dürfen hingegen nur von lizenzierten Fachbetrieben durchgeführt werden.

- Die geplante Abstandsregel zu Schulen sollte durch eine obligatorische Kooperation mit den Schulsozialstationen und/oder der Schulleitung ersetzt werden. Grundsätzlich stellt sich hier die Frage: Wie soll ein von außen nicht wahrnehmbarer Vereinsraum das Konsumverhalten minderjähriger Schüler:innen beeinflussen, die nicht mal in die Vereinsräume schauen, geschweige denn Mitglied werden dürfen? Zudem schafft ein persönlicher Kontakt zu den Schulen ein Vertrauensverhältnis und könnte zukünftig auch als Vorbild für schulnahe Kneipen dienen.

- Mehrfachmitgliedschaften sollten möglich sein. Sie fördern den Wissensaustausch und erhöhen die legale Besitzmenge nicht.

- Clubs sollten die Möglichkeit haben, überschüssiges Cannabis aus Privatanbau zu testen und, so es denn sauber ist, anzukaufen. So wird es für Privatpersonen unattraktiv, überschüssiges Cannabis aus dem legalen Eigenanbau auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen. Ähnlich wie die jährlichen 200 Liter beim Brauen von Bier wäre nur eine für den eigenen Bedarf definierte Menge steuerfrei. Wer zuhause sauberes Weed anbaut, könnte sich sogar ein legales Zubrot verdienen und den Schwarzmarkt im Sinne der Behörden aktiv bekämpfen.

- Für eventuell anzustellendes Personal sollte ausschließlich das Vereinsrecht gelten. Sonderregeln wie die geplante Schaffung prekärer Arbeitsverhältnisse beim Cannabis-Anbau haben im Verein nichts zu suchen.

- Beschränkungen für Saatgut und Stecklinge sollten komplett wegfallen.

- Die Mitgliederzahl sollte nur dann begrenzt werden, wenn die Hürden zum Betrieb eines Clubs nicht so hoch wie derzeit geplant sind. Was hilft es, wenn ein Club statistisch 5000 Personen versorgen muss, aber nur 500 versorgen darf – oder auch umgekehrt? Wer profitiert, wenn die 4500, die nicht mehr in den Club kommen, trotz Entkriminalisierung schwarz einkaufen?

Clubs sind nicht für jede:n was
Die ursprüngliche Idee von Cannabis-Clubs war es, kleinen Grower:innen und Kiffer:innen eine Möglichkeit zu geben, ihr Gras für den eigenen Bedarf straffrei anbauen, besitzen und im Freundeskreis genießen zu dürfen. Durch den eigenen, teilweise ehrenamtlichen Anbau und die ausschließliche Abgabe an Mitglieder, ein Werbeverbot für Clubs oder ihr Produkt unterliegt von Clubs angebautes Cannabis nicht den Mechanismen des Freien Marktes. Ähnlich wie die im Obst- und Gartenbauverein angebauten Äpfel erhalten Club-Mitglieder die Früchte ihrer Arbeit deshalb zu anderen Konditionen, als die Kund:innen eines Obstladens. Wäre ja auch unlogisch, wenn man zur Pflege seines Hobbys extra einem Verein beitritt, der am Ende nur Geld und Aufwand, aber keinerlei Vorteile mit sich bringt. Deshalb ist das selbst ergärtnerte Gras in den Clubs ohne Touristen-Zugang in Spanien für die Mitglieder meistens auch viel günstiger als das in niederländischen Coffeeshops oder den Touristen-freundlichen Clubs Barcelonas.

Deshalb sind Cannabis (Social) Clubs für “cannaffine” Zeitgenossen und Zeitgenossinnen  gemacht, die sich einer jetzt zu schaffenden Cannabis-Kultur widmen wollen. Wer keinen Bock hat, Cannabis-Kulturschaffende:r zu werden, wäre im Fachgeschäft eigentlich weitaus besser aufgehoben – wenn das denn möglich wäre. Doch so heißt es wohl auch für Quartals- und Gelegenheitskiffer:innen ab 2024: Willkommen im Club! Wer darauf keine Lust oder zu wenig Zeit für das Formale hat, darf auch 25 g besitzen – und das mangels Fachgeschäften ganz ohne Herkunftsnachweis. Ein Dach mit nur einer Säule ist eben nicht belastbar und kippt sofort. Deshalb könnte, falls die Säule zwei nicht sehr zeitnah verabschiedet wird, die tragende Rolle der zweiten Säule bis auf Weiteres von einem Schwarzmarkt mit viel weniger Hemmungen als momentan ersetzt werden. 

Schaut euch zu diesem Thema auch Michas aktuelles Video auf Youtube an!

Aufgrund der jahrelangen Prohibition sind die Forschungen zum Thema Cannabis derzeit noch sehr lückenhaft. Viele der in den Studien gemachten Beobachtungen lassen sich noch nicht verallgemeinern. Das Fehlen endgültiger Beweise ist jedoch kein Beweis dafür, dass es die beobachteten Effekte nicht gibt.

Gerade im Bereich des medizinischen Cannabis nimmt die Anzahl der Forschungsarbeiten zu. Jedoch ist die Qualität der Studien oftmals nicht ausreichend, um eindeutige Erkenntnisse zur Wirksamkeit zu liefern. Trotz der teilweise unzureichenden Studienlage ist medizinisches Cannabis in Deutschland seit 2017 verordnungs- und erstattungsfähig.

Das Endocannabinoidsystem: Wirkung auf Körper und Psyche

Du fragst dich, wie eine einzige Pflanze so vielfältige Effekte auf den menschlichen Körper haben kann? Das liegt am Endocannabinoidsystem des Menschen. Mit diesem körpereigenen System können die im Cannabis enthaltenen Stoffe interagieren. Die Aufgabe des Endocannabinoidsystems ist die Feinjustierung verschiedener Systeme und Prozesse. Daher gibt es auch überall in unserem Körper Bestandteile dieses Systems.

So haben die Cannabinoide beispielsweise Einfluss auf das Immunsystem, das Herz-Kreislauf-System sowie das Schmerzempfinden und Entzündungsprozesse. Auch der Schlaf-Wach-Rhythmus, die Psyche und Gehirnentwicklung werden von den körpereigenen Cannabinoiden beeinflusst, ebenso wie Appetit, Verdauung und Fortpflanzung.

Therapeutischer Einsatz von Medizinal Cannabis

Da überall im menschlichen Körper Bestandteile des Endocannabinoidsystems zu finden sind, gibt es für Medizinal Cannabis auch ein breites Spektrum möglicher therapeutischer Anwendungen.

In einer Übersichtsarbeit [2] aus dem Jahr 2015 wurden Ergebnisse hinsichtlich des medizinischen Nutzens von Cannabinoiden gesammelt, zusammengeführt und ausgewertet. Dabei gab es Hinweise mäßiger Qualität, die darauf hindeuten, dass sich medizinischer Cannabis in der Behandlung folgender Erkrankungen beziehungsweise Symptome als vorteilhaft erweisen kann:

Des Weiteren gab es Hinweise von geringer Qualität für positive Effekte bei der Therapie von:

Medizinisches Cannabis in Deutschland

Seit 2017 können Cannabisarzneimittel in Deutschland von einem Arzt oder einer Ärztin verschrieben werden. Es ist jedoch gesetzlich geregelt, dass ein Therapieversuch nur unter gewissen Voraussetzungen erfolgen darf. 

Zum einen muss es sich um eine Erkrankung oder ein Symptom handeln, das als „schwerwiegend“ eingestuft wird. Des Weiteren ist eine Verschreibung nur möglich, wenn Standardtherapien nicht zur Verfügung stehen oder aufgrund von zu starken Nebenwirkungen, Unverträglichkeiten & Co. nicht angewendet werden können. Darüber hinaus sollte durch den Einsatz von Cannabis eine positive Wirkung auf den Krankheitsverlauf erwartbar sein.

Sind diese Voraussetzungen erfüllt, kann ein Rezept für Cannabis ausgestellt und in der Apotheke eingelöst werden. Mittlerweile stehen den Patient:innen mehr als 200 verschiedene Cannabis-Kultivare zur Verfügung, die in der Apotheke als Cannabisblüten erhältlich sind, dazu noch Extrakte und Fertigarzneimittel.

Medizinisches Cannabis wurde 2017 nicht nur verordnungsfähig, sondern auch erstattungsfähig. Das bedeutet, die Patient:innen können bei ihrer Krankenkasse einen Antrag auf Kostenübernahme stellen. In den meisten Fällen wird dieser Antrag auch genehmigt. Sollte dies jedoch nicht der Fall sein, besteht die Möglichkeit, sich Cannabis auf Privatrezept verordnen zu lassen – die Kosten sind dann jedoch selbst zu tragen.

Erkrankungen und Symptome bei denen Cannabis zwischen 2017 und 2022 in Deutschland eingesetzt wurde

Wurden die Kosten der Cannabistherapie von der gesetzlichen Krankenkasse übernommen, war bis März 2022 die anonyme Teilnahme an der Begleiterhebung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) verpflichtend.

Die Begleiterhebung sollte eine bessere Datenlage im Hinblick auf den Einsatz und die Wirksamkeit von medizinischem Cannabis schaffen. Die abschließende Auswertung der BfArM [3] ergab, dass Cannabis zwischen April 2017 und März 2022 zur Behandlung der folgenden Erkrankungen und Beschwerden eingesetzt wurde:

Erkrankung bzw. SymptomatikFallzahl (insgesamt 16.809)Prozentualer Anteil
Schmerz12.84276,4 %
Neubildung (Tumor)2.43414,5 %
Spastik1.6079,6 %
Multiple Sklerose9895,9 %
Anorexie/Wasting8525,1 %
Depression4712,8 %
Übelkeit/Erbrechen3762,2 %
Migräne3322,0 %
Appetitmangel/Inappetenz1981,2 %
Entzündliche Darmkrankheit1821,1 %
Restless-Legs-Syndrom1651,0 %
ADHS1631,0 %
Epilepsie1570,9 %
Insomnie/Schlafstörung1500,9 %
Tic-Störung/Tourette-Syndrom1050,6 %
Cluster-Kopfschmerzen990,6 %

Nebenwirkungen und Risiken von Cannabis

Die Wirkungsweise von cannabisbasierten Arzneimitteln kann von Person zu Person stark variieren. Allgemein gelten die Cannabinoide als vergleichsweise sicher und nebenwirkungsarm. Über lebensbedrohliche Komplikationen und Todesfälle im Zusammenhang mit dem Einsatz von medizinischem Cannabis ist bisher nichts bekannt. [1]

Nebenwirkungen treten zwar gehäuft auf, sind aber in der Regel nur vorübergehend und nicht schwerwiegend. Wie bei vielen psychotropen Mitteln treten die unerwünschten Wirkungen dosisabhängig auf. Daher sollte bei der Behandlung mit Cannabis zunächst mit einer geringen Dosierung begonnen werden, sodass Patient:innen von der Wirkung profitieren, aber möglichst wenig von den Nebenwirkungen betroffen sind.

Nebenwirkungen laut Begleiterhebung des BfArM

Von April 2017 bis März 2022 sammelte das BfArM in seiner Begleiterhebung [3] rund 16.800 Datensätze und wertete unter anderem die beobachteten Nebenwirkungen aus. Zu den häufigsten Nebenwirkungen gehörten:

Über die Schwere der Nebenwirkungen werden in der Begleiterhebung keine Angaben gemacht. Da die Nebenwirkungen aber nur selten zum Therapieabbruch geführt haben, ist von weniger schwerwiegenden Nebenwirkungen auszugehen. Dennoch darf laut BfArM das Auftreten psychotischer Nebenwirkungen nicht unterschätzt werden. So kann es beispielsweise zu Halluzinationen (0,7 %), Sinnestäuschungen (0,6 %), Wahnvorstellungen (0,4 %) und zur Dissoziation (0,2 %) kommen.

Mögliche Beeinträchtigungen durch die Cannabistherapie

Neben den klassischen Nebenwirkungen kann die Cannabistherapie auch Auswirkungen haben, die nicht zwingend beeinträchtigend sein müssen – es aber durchaus sein könnten. Daher sollte die sogenannte Vigilanz-Minderung berücksichtigt werden. Dabei handelt es sich um eine Minderung des Reaktionsvermögens und der Aufmerksamkeit. Laut BfArM [3] müsse daher abgewägt werden, ob Patient:innen aufgrund des Nebenwirkungsprofils am Straßenverkehr teilnehmen und Maschinen bedienen können.

Risikofaktoren: Wann sollte Cannabis nicht eingenommen werden?

Patient:innen mit den folgenden Befunden sollten keine Cannabisarzneimittel anwenden:

Eine vorsichtige und individuelle Bewertung des Arztes beziehungsweise der Ärztin sollte zudem in den folgenden Fällen erfolgen:

Risiken beim Cannabiskonsum: Macht medizinisches Cannabis abhängig?

Wie bei der Anwendung von Betäubungsmitteln, besteht auch bei Cannabisarzneimitteln die Gefahr, eine Toleranz oder Abhängigkeit zu entwickeln. [1] Im Rahmen der therapeutischen Anwendung ist das Risiko einer Cannabisabhängigkeit vergleichsweise gering. Schließlich wird der Einsatz von medizinischem Cannabis ärztlich begleitet. 

Fazit

Für den therapeutischen Effekt von Cannabis sind insbesondere die Inhaltsstoffe THC und CBD von Bedeutung. Diese entfalten ihre Wirkung auf das körpereigene Endocannabinoidsystem. Die Wirksamkeit von medizinischem Cannabis wurde in vielen Studien untersucht, wobei es zu ersten vielversprechenden Ergebnissen kam. Aktuell gibt es jedoch nur wenig qualitativ hochwertige Studien, sodass deren Aussagekraft noch eingeschränkt ist.

Zu den Anwendungsbereichen von Cannabis gehören unter anderem chronische Schmerzen, Spastizität bei Multipler Sklerose, Übelkeit und Erbrechen aufgrund von Chemotherapie, Appetitanregung bei HIV/AIDS sowie seltene Formen der Epilepsie.

FAQ

Wogegen hilft medizinisches Cannabis?

Cannabis-Studien zeigten erste vielversprechende Ergebnisse in der Behandlung von Spastizität bei Multipler Sklerose sowie bei der Therapie von chronisch neuropathischen Schmerzen und chronischen Schmerzen im Zusammenhang mit einer Krebserkrankung.

Welche Cannabis-Nebenwirkungen können auftreten?

Laut der Begleiterhebung des BfArM sind die häufigsten Nebenwirkungen Müdigkeit (14,9 %), Schwindel (9,8 %), Schläfrigkeit (6,0 %), Übelkeit (4,9 %) und Mundtrockenheit (4,9 %).

Kann ich von medizinischem Cannabis abhängig werden?

Grundsätzlich hat Cannabis ein gewisses Suchtpotential. Dieses ist jedoch vergleichsweise gering, wenn die Einnahme ärztlich begleitet wird. Dennoch besteht ein kleines Restrisiko, eine Toleranz oder Abhängigkeit zu entwickeln.

Quellen

[1] Cannabis-Report (Prof. Dr. Gerd Glaeske, Dr. Kristin Sauer, Universität Bremen, 2018)

[2] Cannabinoids for Medical Use: A Systematic Review and Meta-analysis (Penny F Whiting, Robert F Wolff, Sohan Deshpande, Marcello Di Nisio, Steven Duffy, Adrian V Hernandez, J Christiaan Keurentjes, Shona Lang, Kate Misso, Steve Ryder, Simone Schmidlkofer, Marie Westwood, Jos Kleijnen, 2015)

[3] Abschlussbericht der Begleiterhebung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (Bonn, 2022)

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